Vier Jahreszeiten

© privat

von Lilli Rother

Dieser Text entstand im Seminar „Kreatives Schreiben zu Kunst“ bei Anke Fischer im Wintersemester 2023/24. Aufgabe war es, einen Text zum Thema „Stolz“ oder „Selbstvertrauen“ zu schreiben, der mit einem der in der Weserburg ausgestellten Wortspiele beginnt. Lilli entschied sich für „Love Letter“ von Kay Rosen.

XOXO. Umarmungen, Küsse, Umarmungen, Küsse. Am Ende deiner Nachricht stehen immer Umarmungen und Küsse. Immer.
Als wir uns kennengelernt haben, war da so ein Blubbern in mir, wie ein Lachen, kurz bevor es aus dem Mund kommt. Du warst mein Frühlingsgefühl. Und du weißt ja, wenn man nicht aufpasst, dann ist nach dem Frühling bald auch der Sommer da. Von oben bis unten warm fühlt sich das an. Da war es echt, da gab es Küsse zwischen den Umarmungen, und wenn es nichts zu reden gab, dann nur weil ein Tag nicht ausreicht mit dir. Der Sommer war lang und heiß und wunderbar und ich habe anfangs gar nicht gemerkt, dass die Tage kürzer und die Abende kühler wurden. Erst als es viel zu spät war, hat der Herbst mich eingeholt, und mit ihm der eisige Wind. Wenn ich die Augen schließe, dann kann ich es wieder spüren. Das erste Mal als er mich ins Gesicht traf und mir den Atem verschlug. Die Luft bleibt mir heute noch manchmal weg, wenn ich daran denke. Ich hätte nie gedacht, dass der Winter so viele Spuren hinterlässt. So viele kalte Narben, so viel rote Haut, so viele kleine Wunden.
Liebe ist rosa, sagen sie, und Angst ist schwarz. Du hast mir gezeigt, dass das nicht stimmt. Wenn Liebe rosa ist, dann will ich deine Liebe nicht. Denn aus rosa wird rot und aus rot wird bunt. Bunte Angst, erst blau und dann grün und dann gelb. Und dann sieht man sie nicht mehr. Aber weg ist sie nie. Weg ist sie nicht, wenn die Tür hinter mir zufällt. Weg ist sie nicht, wenn ich in einem fremden Bett schlafe. Weg ist sie nicht, wenn ich in eine andere Stadt ziehe. Damals war ich überzeugt, das Schicksal hätte uns zusammengebracht. Also wie kann ich mir sicher sein, dass das nicht nochmal passiert? Ab und zu sitze ich in der Straßenbahn und dein Duft steigt mir in die Nase und dann steige ich schnell aus, weil ich mein Frühstück nicht verlieren will. Das Einzige, was mich noch rettet, ist mein Stolz.
„Ich glaube, gegen dich kann man gar nicht gewinnen“, hast du damals bei unserem Brettspielabend gesagt. Da war es noch Frühling.
Damals habe ich gelacht und den Kopf geschüttelt, aber heute hätte ich dir zugestimmt und dabei fest in die Augen geschaut. Du kannst gar nicht gewinnen. Nicht gegen mich. Und wenn du nicht gewinnst, dann kann ich nicht verlieren. Das Beste an den Jahreszeiten ist doch, dass sie nie allzu lange anhalten. Und nach einem Winter kommt immer auch der Frühling, darauf kann man sich verlassen. Wenn der Frost taut, ist wieder Platz für neue Knospen und wenn das Grau verschwindet, dann kommt das Leben zurück.
Nächsten Frühling komme ich zurück. Dann nenne ich Bonn nicht mehr nur Heimat, sondern wieder Zuhause und wenn mir dein Duft auf dem Weg zur Arbeit in der Lunge stecken bleibt, dann bringe ich dir eben das Frühstück vor die Tür. Vielleicht merkst du dann, was du mir wert bist. Deine Fingerabdrücke trage ich mit erhobenem Kopf – denn weißt du, was ich darin sehe? Du hast versucht nach mir zu greifen, aber warst zu schwach mich festzuhalten. Deine Schwäche ist meine größte Stärke. Noch stärker als die Angst.
Wir sehen uns in Bonn.
XOXO, deine große Liebe.

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