Vom Schaffen und Scheitern

(c) privat

von Anne Storm

Aller Anfang ist schwer. Ich starre lange auf diesen Satz, mit dem ich meine Buchrezension beginnen will, wie er da ganz mutterseelenallein auf dem grellweißen Word-Dokument steht. Aller Anfang ist schwer, das weiß auch Lars, Hauptfigur und Erzähler in dem Roman Kleine Probleme von Nele Pollatschek. Während ich mit dem Schreiben einer Rezension ringe (und nachher noch die Wäsche machen, zehn E-Mails beantworten, eine Präsentation vorbereiten und jetzt aber erstmal dringend eine rauchen muss), hat der 49-jährige Schriftsteller Lars noch alles zu erledigen, denn „in neunundvierzig Jahren sammelt sich eine ganze Menge alles an“. So sitzt (oder liegt) er zum Ende des Jahres allein zuhause, die beiden Kinder sind ausgezogen und seine langjährige Freundin Johanna ins Ausland verreist. Der perfekte Zeitpunkt also, um in der Woche zwischen den Jahren all die To-Do’s abzuarbeiten, die sich schon so lange angehäuft haben: Vom Putzen der Wohnung über die Steuererklärung bis hin zum Verfassen seines Lebenswerks erstreckt sich Lars‘ Vorhaben über (vermeintlich) kleine Aufgaben bis zu ziemlich großen Missionen. Und weil aller Anfang eben schwer ist und Lars die personifizierte Prokrastination, bleibt ihm für die Umsetzung nicht wie geplant eine Woche, sondern nur ein einziger Tag, der 31. Dezember.

In dem Wissen um die Unmöglichkeit, alles an einem Tag erledigen zu können, schreibt Lars sich eine To-Do Liste, deren einzelne Punkte als Unterteilung des Buches dienen. Entlang von Überschriften wie „Linas Bett“ (aufbauen), „Nudelsalat“ (machen) und „Lebenswerk“ (schreiben) begleiten die Leser*innen Lars bei dem Versuch, das Unschaffbare zu schaffen, während er sich zwischen endgültiger Resignation und absoluter Selbstüberschätzung bewegt. Mit scharfsinnigem Humor legt Pollatschek die Gedankenwelt ihrer Hauptfigur dar, die erfüllt ist von Verdrängungsmechanismen und Ablenkungsfantasien, welche oftmals an Symptome von Depressionen und ADHS erinnern. Trotz seines schnellen sprachlichen Rhythmus weist der Roman daher mitunter Längen auf, die am Nervenkostüm zehren, zugleich aber auch konsequent sind. Wenn Lars sich zum Beispiel beim Aufbau des Bettes für alle Nägel und Schrauben eigene Fantasienamen ausdenkt, während die knappe Zeit verrinnt, dann möchte ich ihn anschreien, hinterfrage aber auch meinen genervten Blick auf eine Person, die nicht einfach reibungslos „funktioniert“.

In dem Unterfangen des überforderten Mannes kommt auch fortlaufend seine Freundin Johanna zu Wort, beziehungsweise seine „Kopfjohanna“, schließlich wisse man in so einer langjährigen Beziehung immer, was die andere Person sagen würde. Neben Johanna kommentieren auch die beiden Kinder Yannis und Lina die Handlungen und Entscheidungen von Lars, wodurch eine zusätzliche Ebene der Reflexion eröffnet und ein Einblick in die Familienverhältnisse und Beziehungsdynamiken gegeben wird.

In Hinblick auf die elterliche Beziehung tritt dabei insbesondere die Ungleichheit in der Verteilung der Care-Arbeit zutage, die beim Lesen wehtut. Wenngleich Pollatschek die männliche Selbstüberschätzung auf sprachlich pointierte und humorvolle Weise immer wieder ad absurdum führt, erhärtet sich das Bild von Lars als ein Paradebeispiel des überprivilegierten, unachtsamen und weinerlichen Mannes. Die Figur bleibt für mich dennoch ambivalent, denn während sie einerseits meine Abneigung gegen solch ein stereotypisch-männliches Verhalten schürt, , kippt meine Wahrnehmung immer wieder von der eines Mannes zu der eines Menschen, der schlicht und ergreifend nicht klarkommt. So zeichnet Pollatschek mit Lars gleichzeitig einen Charakter, der wie wir alle mit seinen Schwächen ringt und Ausdruck für die maßlose Überforderung aufgrund des immensen Leistungsdrucks in unserer Gesellschaft wird: „(…) ich muss noch schnell mein Potenzial ausschöpfen, ich muss noch dieses was in aus dem wird mal was werden“.  Während dieses muss, muss, muss tagtäglich auf uns einprasselt wie Starkregen, kann man in Gedanken an Lars vielleicht einfach mal drinnen im Trockenen bleiben. Ich für meinen Teil kümmere mich morgen um Wäsche, E-Mails und Präsentation – jetzt ist es eh schon ganz schön spät.

Kleine Probleme von Nele Pollatschek, 2023, Galiani Berlin, 208 Seiten, 23€

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