„…trotz dieser Welt“ – die Eröffnung der globale° 2024

(Foto: privat)

von Carla Velasco Sieker

Die diesjährige Eröffnung der globale° – Festival für grenzüberschreitende Literatur fand am 28.10.2024 ab 18 Uhr in der oberen Halle des Bremer Rathauses statt. Die Veranstaltung war sehr gut besucht und fast alle Plätze waren belegt. Die prunkvolle Festhalle mit Sitzgelegenheiten für bis zu 400 Menschen sorgte dabei für ein besonderes Ambiente. Durch die großen Dimensionen war es jedoch in den hinteren Reihen nicht möglich, viel von der Bühne zu sehen. Große Lautsprecher haben allerdings dafür gesorgt, dass man auch dort alles verstehen konnte.


Begonnen hat die Eröffnung mit mehreren Reden, auf welche die mit einem Gespräch verbundene Lesung folgte. Stellvertretend für den Bürgermeister Dr. Andreas Bovenschulte übernahm als erstes Carmen Emigholz das Wort. Sie thematisierte die Wichtigkeit der Diskursfähigkeit in den aktuellen politisch schwierigen Zeiten und betonte in diesem Zusammenhang die Rolle der Literatur, die zur Reflexionsfähigkeit und Menschlichkeit beitrage. Der neu erlangte Titel Bremens als „City of Literature“ war ebenfalls Teil der Rede, wobei Emigholz der Literaturszene dankte und anmerkte, dass der Titel auch eine Verpflichtung sei, der man gerecht werden müsse.
Als nächstes sprach Libuše Černá, die Gründerin und Leiterin der globale°. Sie ging auf das diesjährige Motto des Festivals ein: „…trotz dieser Welt“, ein Zitat aus einem Gedicht Theodor Fontanes, das sie in diesem Zusammenhang rezitierte und dessen ungebrochene Aktualität sie hervorhob. 40 Autor*innen seien dieses Jahr bei der globale° dabei, was zur Vielschichtigkeit beitrage. Černá wies darauf hin, dass die Demokratie nicht selbstverständlich sei und das Literaturfestival als demokratisches Forum zu verstehen sei. Die globale° werde dieses Jahr 18 und somit volljährig und sie werde die Leitung nun an Tatjana Vogel und Daniel Schmidt abgeben. Das gesamte Publikum erhob sich und es gab eine Standing Ovation für Libuše Černá.
Der nächste am Rednerpult war Cornelius Neumann-Redlin, der ebenfalls die Macht des Wortes in den jetzigen politisch unruhigen Zeiten betonte und Libuše Černá für ihr Engagement dankte. Vor der eigentlichen Lesung ergriff noch Tatjana Vogel das Wort und sagte ein paar einführende Worte zu Uwe Wittstocks Marseille 1940: Die große Flucht der Literatur sowie zu Ronya Othmann, die dieses Jahr mit Vierundsiebzig auf der Shortlist für den Deutschen Buchpreis stand.
Othmann und Wittstock sprachen zunächst über die historischen Umstände, über die Flucht vieler deutscher Literaten im Jahr 1933 (Wittstock: Februar 1933: Der Winter der Literatur) und die spätere Flucht von Nord- nach Südfrankreich von 8-10 Millionen Menschen 1940. Wittstock erzählte, dass er die schriftlichen Erinnerungen von Zeitzeugen gesammelt hätte und daraus der Roman entstanden sei. Es wurden zwei Textstellen vorgelesen und dazwischen und danach wurde das Gespräch fortgeführt. In der ersten Stelle ging es um Anna Seegers und deren Kinder auf der Flucht nach Südfrankreich, in der zweiten um eine von Varian Fry angeleitete Flucht über die Pyrenäen. Gerade um den US-amerikanischen Fry und seine Rolle als Fluchthelfer ging es auch viel im Gespräch von Othmann und Wittstock. Nach der Lesung der zweiten Textstelle drehte Wittstock den Spieß um und stellte Othmann Fragen zu ihrem Roman Vierundsiebzig, in dem es um den vom IS verübten Völkermord an den Êzîden im Nordirak im Jahr 2014 geht. Anders als Wittstock bei seinem Roman, hatte Othmann die Möglichkeit mit Zeitzeugen zu sprechen. Das Thema der Flucht verbindet beide Romane und realen Vorkommnisse.


Zum Ende der Veranstaltung trat Tatjana Vogel noch einmal ans Mikrofon, nun gemeinsam mit Daniel Schmidt, der seinen persönlichen Dank gegenüber Libuše Černá aussprach und kurz skizzierte, wie er seinerzeit über Angelika Sinn seinen Weg zur globale° fand.
Der zu Denkanstößen anregende Abend, klang in der benachbarten Halle, in welcher es zu trinken gab und sich über mehrere Tische ein appetitliches Buffet aus Häppchen erstreckte, aus.

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