Studenten sind faul – Student müsse man sein

(c) privat

von Kim Puntke

Ist das ein Herzinfarkt?
Ah, puh. Ne – Doch nur Unistress.
Dabei mache ich nichts.
An dem Klischee ist wohl was dran: Studenten sind faul.

Ich schaue den Laptop an, der sich mehr und mehr zu einem Monster in der Ecke zu verwandeln scheint, die verchromte Oberfläche gefährlich reflektierend und herausfordernd.
Abgabe ist morgen.
Und Freitag.
Und nächste Woche.
Und zwei Wochen danach.
Dann sind Semesterferien– Endlich Ferien! Einen ganzen Ostermontag lang.
24 Stunden.
8 davon sollten geschlafen werden.
Ganze 16 Stunden immerhin.
Hm, aber Ostermontag ist Feiertag.
Feiertag bedeutet Familientag.
‚Also nochmal 5 Stunden weniger.
Ganze 11 Stunden also frei, bevor das neue Semester beginnt. Da sollte ich mich nicht beschweren.

Aber Wäsche muss gewaschen werden. Unterlagen der letzten Wochen wegsortiert werden. Endlich mal wieder eine richtige Mahlzeit gekocht werden, die nicht schnell zwischen verschmutzten Teebechern mit kaltem Kamillentee von vor 4 Tagen und einem halb eingewickelten, und ganz verschmutzten Proteinriegeln auf in der letzten Arbeitsphase zwischen Arbeit und Lerngruppe wieder aus der Jackentasche gefischt wurde um die Hunger zwischendurch zu stillen. Erdnuss… pah, und Fussel.

Dann doch lieber richtiges Mittagessen, oder? Vielleicht mal mehr, als nur eine Portion Nudeln mit Pesto, die zwar zum klischeehaften Inbegriff des Studentendaseins geworden ist, aber dennoch wenigstens etwas Warmes und Schmackhaftes ist, wenn man es mit ein paar Tomaten oder Fetakäse verfeinert. Fetakäse für 3,50 das Stück mittlerweile, wobei er nach 3 Tagen im Kühlschrank geöffnet zu kippen scheint. Ein wahres Festmahl also.

Mir schmecken die Nudeln mit Pesto mittlerweile nicht mehr. Aber es hat Jahre gedauert, das muss ich ihnen lassen. Jahre voller Prüfungsphasen und Hausarbeiten von der kriminellen Welt von Shakespeare im Elisabethanischen England zu Prüfungen von Binärcodes und Fibonacci-Zahlen bis hin zu Forensischen Linguistik.

Studenten sind faul.

Der Text lässt sich nicht hochladen, die Mailadresse ist nicht mehr aktuell und das Büro ist im Urlaub. Die Frist läuft ab, doch niemand ist zu erreichen, um alles fristgerecht einzureichen. Die Post streikt, die Ansprechstelle vor Ort ist geschlossen und ans Telefon geht auch niemand, dabei habe ich mich so überwunden, die Nummer tatsächlich zu wählen und es mehr als zwei Mal klingeln zu lassen. Unterlagen kommen zu spät an und es ist natürlich meine Schuld.

Andere haben die Abgabe auch fristgerecht geschafft, nur ich wieder nicht, wie es scheint. Wie kann das sein?

Ich habe drei Kalender. Einen im Handy, einen auf dem Laptop und einen noch auch Papier mit Ledereinband. Er ist schwarz und robust. Muss er auch sein. Schließlich wird er von Tasche zu Tasche geschmissen. Unitasche, Arbeitstasche, Handtasche… Trotzdem rutschen mir Termine durch, während andere nur lächelnd den Kopf schütteln. Ich sei immer so verpeilt.

WhatsApp Chat Familie: „Warum kommst du denn nicht mal wieder vorbei? Du hast doch gerade Semesterferien, da wirst du doch mal für mich Zeit haben…“
Theoretisch? Ja. Stunden um Stunden sind geblockt. Für Uni. Aber die Familie müsste ich auch mal wieder sehen. Also fahre ich vorbei und werde direkt als Familientherapeut eingespannt, nur um erschöpft und ausgelaugt wieder nach Hause zu kommen. Das muss erstmal verarbeitet werden. Für die Uni habe ich keinen Kopf mehr.

Findet das StugA-Treffen eigentlich diese Woche statt? Die anderen Studenten sind auch abgetaucht und ich kann es verstehen.

Oh, schaut mal, die tollen Angebote für Kurse während der vorlesungsfreien Zeit! Kreative Kurse. Exkursionen. Blockseminare. Eine Woche? Nein, 1 Tag. Oh, dieses ist aufgeteilt über mehrere externe Seminare. Wann und wo, wird noch bekannt gegeben, aber leider erst während der ersten Sitzungen.

Studenten sind faul.

Mir tut der Kopf weh. Mittlerweile wach ich bereits mit Kopfweh morgens auf. Habe wohl mal wieder während der Nacht zu sehr zugebissen und meine Nackenmuskeln und den Vagusnerv damit verspannt. Meine Beißschiene ist irgendwann zwischen Dezember und Januar verschwunden und seitdem nicht wieder aufgetaucht. Sie muss irgendwo in der Wohnung sein. Sie wurde in den letzten Monaten quasi auf den Kopf gestellt, die Küche teilrenoviert – der alte Kühlschrank, ein Relikt aus den 80ern mit einer Energieeffizienz, über die man lieber nicht nachdenken möchte, hat endgültig den Geist aufgegeben. Die Nachbarn wollen den Dachboden aufräumen. Bitte ein ganzes Wochenende im Februar. Der stickige, feuchte Dachboden mit moderigem Geruch, der bereits nach 10 Minuten so in die Kleidung und Haut eindringt, dass nur ein einstündiges Bad den Geruch wieder aus den Haaren bekommt. Der Dachboden, auf dem noch ein alter Herd von der Vor-, vor-, Vermieterin von uns steht und der seitdem auch nicht mehr aufgeräumt worden war.

Studenten sind faul.

Im Winter ist Kohltour-Zeit in Bremen. Eingeladen war ich auf zwei. Teilgenommen habe ich an keiner. 70 Euro soll sie kosten. 70 Euro sind mehr als ein Wocheneinkauf (Früher waren es 40-50 Euro, mit denen man gut über die Runden gekommen ist). Start um 13 Uhr an einem Samstag. Laufen, Trinken, Essen, Tanzen – Bett und Katern. Zack – Ein Wochenende weg. Das muss man sich leisten können.

Studenten sind faul.

Die Mitbewohnerin ist krank und ich fang an zu schwitzen. Krank werden? Dafür ist so absolut keine Zeit! Das Kratzen im Hals wird ignoriert, der Körper macht brav mit… größtenteils. Abends wird gehustet, morgens mit Kopfweh aufgestanden.

Gott, ich bin so kaputt.

Studenten sind faul.

Durch die Unterlagen wird sich durchgekämpft, Abgaben eingereicht. Erasmus Bewerbung ist abgegeben. Vorträge und Thesenpapiere sind weg. Mails sind beantwortet. Shit. Da sind neue im Postfach: Es gibt Probleme mit der ERASMUS Bewerbung. Die gewählte Partneruni hat den Vertrag nicht unterschrieben. Die Angaben auf der Uniwebsite waren falsch. Bitte suchen Sie sich eine neue raus. Kein Link, keine Angaben, wo die neuen und damit richtigen Unis zu finden sind. Rückmeldung bitte bis gestern. Bei der Arbeit kommt die neue Frühlingsware rein. WhatsApp um 19:30: Stellst du die bitte noch in den Onlineshop? Du kannst ja die Bilder von deren Website nehmen. Ja, aber die Beschreibung war leider nicht richtig. Anzeige, Gerichtsverfahren und Kosten im vierstelligen Bereich. Ich habe eine nette Chefin, sie stellt mir nichts in Rechnung und macht mir keine Vorwürfe, aber die Schuldgefühle bleiben.

Schuld, Gewissensbisse, Sorgen, Zeitmangel und doch zu viel Zeit, kleine Wohnung, weniger Geld, Familie, Freund:innen, Mitbewohner:innen, Kommiliton:innen, Dozierent:innen, Chef:innen…

Bafög wird hochgesetzt. Ich werde von meiner Familie finanziell unterstützt, muss dafür aber monatlich einen Kniefall hinlegen. „Hochgesetzt“ wurde mein Beitrag noch nie und das kann und will ich auch nicht einfordern. Mitbekommen, dass der Satz hochgesetzt wurde, tue ich lediglich, weil alle anderen Kosten steigen. Bafög wird hochgesetzt? Die Krankenkasse sagt Danke.

Freunde kaufen ein Haus. Ich kaufe eine besonders große Packung Feta-Käse für 8,99 in der Dose. Vielleicht hält es sich darin ja länger, wenn es geschlossen in der Salzlake liegen bleiben kann… Auch wenn damit jetzt mein halbes Kühlschrankfach voll ist. Egal, brauche sowieso nur Nudeln mit Pesto und meinen Kaffee… die ich schon wieder einkaufen gehen muss.

Shit.

Meine Nudeln sind kalt geworden, ich liege auf dem Sofa. Modern Family läuft zum 3. Mal im Hintergrund, während ich auf dem Handy scrolle und die Sonne sich auf der verchromten Oberfläche des Laptops spiegelt und mich blendet erinnert: Du hast noch viel zu tun. Trotzdem liegst du faul auf dem Sofa rum und lässt dich berieseln. Verdammt: Studenten sind faul.

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