Ein Interview mit Fatma Aydemir von Mehregan Behrouz
Noch bevor ich sie treffe, fühle ich mich ihr sonderlich verbunden – wie so oft wenn man sich Menschen verbunden fühlt, deren künstlerische Arbeit bei einem selbst angedockt haben und von welcher man sich sonderlich verstanden gefühlt hat. Nicht zuletzt schwirren in meinem Literaturwissenschafts-Studentinnen-Kopf Gedanken vom eigenen Schreiben umher und in einem naiven Anflug von der Romantisierung der Welt sitzt gleich vor mir meine eigene Story – meinem jetzigen Ich lediglich ein paar Jahre voraus.
Fatma Aydemir, Journalistin und Redaktuerin, hat 2017 ihren Debütroman „Ellbogen“ veröffentlicht, in welchem sie die junge Berlinerin Hazal von ihrem Alltag, ihren Gedanken und Vorstellungen sprechen lässt. Jugendsprache sprechend und reflektiert denkend, bewegt sich Hazal an einem gesellschaftlichen Ort, an dem die deutsche Literaturlandschaft selten bis nie hinschaut – dem Teil der nicht-weissen deutschen Jugend, die zwischen Ausbildungssuche, dem Erwachsenwerden und der Frage nach der eigenen Zugehörigkeit stecken. Aydemir schafft es mit einer Feinfühligkeit, uns alle in die Schuhe von Hazal zu stecken und ausnahmensweise nicht zu oder über sie zu sprechen, sondern sie selbst sprechen zu lassen.
Im Interview unterhalten wir uns dann über den Schreibprozess selbst, über die Intimität einer selbstverfassten Erzählung und vor allem über Hazal, was ihr Leben und ihre Entscheidungen ausmacht und was sie uns bedeutet.
Mehregan: Wie kam es dazu, dass du ‚Ellbogen‘ geschrieben hast?
Fatma Aydemir: Ich habe Germanistik studiert und danach angefangen als Journalistin zu arbeiten. Dadurch, dass ich kein Volontariat gemacht habe, hatte ich einen direkten Berufseinstieg und musste gleichzeitig lernen: Was ist das für ein Beruf und wie schreibe ich? Wie funktionieren Texte? Das war voll spannend und gleichzeitig habe ich aber dann schon relativ früh gemerkt – okay, ich mache das voll gerne, aber ich würde gerne auch literarisches Schreiben ausprobieren, also war es im Nachhinein eine Art von Experiment. Ich habe angefangen ein wenig rumzuschreiben, einen ersten Entwurf, ein erstes Kapitel, und da war aber noch nicht so richtig klar worauf es hinaus laufen würde. Ich hatte eine konkrete Szene im Kopf um die ich alles gebaut habe. Ich habe am Anfang auch echt viel Müll geschrieben, den ich dann verworfen habe, aber letztendlich habe ich mich selber motiviert, es geht eigentlich viel um Motivation, Disziplin und Mut. Vor allem Mut, zu sagen, ich traue mich jetzt das anzufangen, weil es sehr wahrscheinlich ist dass ich scheitern werde. Und dann musste sich das alles erst bis zu einem gewissen Grad entwickeln, bis ich tatsächlich einen Verlag ansprechen konnte.
Hattest du das Buch schon fertig und hast dann erst Verlage angeschrieben?
Nein. Das gute war, dass ich ein Stipendium bekommen habe, für das sich Leute bewerben konnten, die ein Buch schreiben wollten und ich habe das erste Kapitel, was ich schon fertig hatte, dahin geschickt. Das Stipendium hat mir ermöglicht ein paar Monate von der Arbeit freizunehmen und intensiver am Buch zu arbeiten. Ich hatte dann ungefähr ein Drittel fertig als ich überlegt habe: Jetzt kann ich einen Verlag kontaktieren. Der Bekannte von einer Bekannten hatte dann gerade beim Hansa-Verlag angefangen und als sie gehört hat, dass ich ein Buch schreibe sagte sie „ah ich check mal seine email“ und ich dachte nur „jaja, check mal seine email“ [lacht]. Aber dann hat es voll gut funktioniert, er war direkt interessiert und wir haben über ein Jahr Kontakt gehabt, ohne dass es einen Vertrag gab, bis sie mr dann ein Angebot gemacht haben und ich war so: Ja, voll gerne.
Hattest du auch Angst das Buch zu schreiben? Ein Buch rauszubringen wo dein Name draufsteht?
Jaaaaa [beide lachen] ich hatte Angst. Davor, einfach daran zu scheitern – dass dieses Buch niemals fertig wird. Aber ich hatte auch Angst davor ein schlechtes Buch geschrieben zu haben oder ein Buch geschrieben zu haben, wohinter ich nicht stehen kann. Ich glaube das Schreiben an sich hatte für mich was mit Angst zu tun, weil ich auch thematisch ganz viele Sachen konfrontiert habe, die mit Angst verbunden sind. Das steckt ja auch in der Handlung, in der Angst eine große Rolle spielt. Eigentlich hatte ich die ganze Zeit nur Angst, wenn du so fragst [lacht] das war mir gar nicht so bewusst. Ich habe über drei Jahre geschrieben, in denen ich das Jahr über gearbeitet habe und mir dann im Sommer freigenommen und geschrieben habe. Das waren insgesamt drei Sommer und die dritte Phase war ein halbes Jahr lang, da hab ich das Buch dann fertig geschrieben. Zu diesen Zeiten habe ich auch immer superschlecht geschlafen. Es klingt vielleicht kitschig, aber mir war es wichtig, dass ich mich mit ganz vielen unbequemen Sachen ausseinandersetze, damit das überhaupt ein gutes Buch wird oder dass es genau das erzählt, was ich eigentlich sagen will. Das ist total schwierig, vor allem wenn es das erste eigene Buch ist, und bevor ich mit dem Verlag gesprochen habe war ich ja alleine mit dem Text. Ich habe ihn niemandem gezeigt, ich habe zwar erzählt, dass ich an etwas schreibe aber ich wollte mit niemandem darüber reden. Ich habe auch niemandem von der Story erzählt bis das Buch rauskam. Alle haben Jahre lang gefragt, und auch meine Mutter: „Worüber schreibst du?“ und ich so“mhh, über ein Mädchen“ [lacht]. Aber es war echt so, ich hatte Schiss, dass mir das irgendjemand kaputt macht.
Ja es ist halt auch irgendwie was intimes, was man dann verfasst, ne
Voll
Schon ein krasser Wechsel, es zuerst niemandem zu zeigen und für sich zu schreiben und es dann zu veröffentlichen, für alle Menschen frei zugänglich und lesbar.
Ja, was aber voll cool ist jetzt im Nachhinein. Bevor ich mit meinem Lektor gesprochen habe, war ich auch total lost in der Geschichte. Ich wusste nicht mehr – macht das Sinn? Sind es Dinge, die nur in meinem Kopf lustig oder spannend sind? Vielleicht funktioniert das gar nicht? Es war superwichtig dann mit ihm anzufangen über bestimmte Sachen zu reden, dass er mir Feedback gibt, was aus seiner Sicht vielleicht gar nicht so gut funktioniert. Es war immer total wichtig eine Außenperspektive darauf zu haben und Texte sind schon auch dazu da, dass über sie geredet wird und das hat auch total viel gebracht. Ich hatte voll Schiss vor dem Moment, in dem das Buch rauskommt und alle es lesen können, im Prinzip kommt es mir dann voll intim vor. Es ist am Anfang auch intim, aber auf der anderen Seite ist es halt Fiction, es ist nicht mein Tagebuch oder so, es ist eine Geschichte, die von einem Lektor redigiert wurde und die bei einem Verlag rausgekommen ist und vorher durch 10.000 Instanzen gegangen ist. Deswegen erleichtert es einen letztendlich auch ein bisschen.
Wenn es dann raus ist meinst du?
Ja genau, ich fand es voll erleichtern als es rausgekommen ist. Weil ich die ganze Zeit dachte ich muss irgendwas beschützen, das kaputt gehen könnte oder so und es ist nichts kaputt gegangen.
Sollen wir über Hazal reden?
Mhm, voll gerne [beide lachen]
Klingt ein bisschen so als wäre sie ein Problemkind. Ist Hazal ein Problemkind?
Mmmhh wahrscheinlich?! Ich weiss es nicht. Bei Problemkindern denke ich immer an diese hyperaktiven 3-Jährigen, die alles kaputt machen.
Was war das noch, Supernanny?
Supernanny, genau. Das sind Problemkinder oder? Wahrscheinnlich ist Hazal eine, die jemand von außen gesehen als ein Problem beschreiben würde. Also Hazal ist ein Problem, eigentlich, Hazal hat viele Probleme… Es geht genau um die Sache im Buch – das war ein bisschen die Perspektive, die ich auf die Geschichte hatte: ich wollte eine Figur haben, die es so nicht gegeben hat in Erzählungen, finde ich. Ich hatte beim Schreiben keine Zielgruppe vor Augen, aber ich würde mal sagen, eine bestimmte Leserschaft würde Hazal direkt als ein Problem identifizieren und vielleicht entwickelt sich die Geschichte dann aber so, dass diese Leserschaft dann tatsächlich sieht, dass Hazal eigentlich nicht das Problem ist, sondern dass das Problem ein größeres ist. Oder dass Hazal eben selber Probleme hat. Aber lass uns mal das Vokabular wechseln.
Gerne. Tatsächlich wird ja alles aus Hazals Perspektive angesprochen. Wir sehen alles durch ihre Augen, aber es werden ja viel mehr Themen und viel mehr Bereiche aufgemacht, als das was sie selbst einschätzen kann oder was zwangsläufig Teil ihres Lebens ist. Über Rassismus zum Beispiel redet sie gar nicht so klar und offen oder reflektiert, aber es ist ja da und sie weiss es auch.
Ja, ja, klar, aber das ist halt das Ding. Jede Person, die von Rassismus betroffen ist, weiss was Rassismus ist und da muss man gar nicht irgendwie groß theoretisch Sachen benennen müssen. Was mich an Hazal gereizt hat war, dass sie jetzt nicht als eine Person durch die Welt geht, die sich als politische Person oder so begreift. Aber das liegt auch ein bisschen daran wie das Wort ‚Politik‘ konnotiert ist. Hazal hat eigentlich keine Berührungspunkte damit, für sie sind das so hässliche Nachrichten im Fernseher, sie hat dazu keinen Bezug. Aber gleichzeitig würde ich von Außen gesehen schon sagen, dass sie ein politisch denkender Mensch ist, einfach weil sie so ganz grundsätzlich sehr sensibel ist was Ungerechtigkeiten angeht, ob es jetzt soziale Ungerechtigkeiten sind oder ob es Machtverhältnisse zwischen Frau und Mann und eben Rassismus allgemein sind. Und da geht es tatsächlich nicht nur darum, dass sie nur Diskriminierung ausmacht, wenn sie selber diskriminiert wird. Das wendet sie ja auch so ein bisschen an, wenn sie in der Türkei ist, dieses Wissen oder die Kompetenz helfen ihr irgendwie dabei auch andere Dinge zu erkennen, dass sie sich noch nie damit beschäftigt hat wie das so mit Kurden in der Türkei ist oder ob sie selbst vielleicht sogar einen kurdischen Hintergrund hat und so weiter. Sie weiss eigentlich gar nicht wer sie ist, das ist ganz seltsam, weil sie gleichzeitig so feinfühlig und so eine supergute Beobachterin bei so vielen Dingen ist und Dinge einzuordnen weiss.
Es gibt ja ganz offensichtlich einen Clash innerhalb der Geschichte. Der Unfall passiert und sie geht weg und dann gibt es so einen Wechsel. Nicht nur einen Ortswechsel, sondern auch einen Wechsel in ihr. Ich hatte das Gefühl, dass sie ab dann anfängt Dinge selber zu entscheiden, anstatt dass immer etwas für sie entschieden wird. Wie empfindest du diesen Wechsel in ihr?
Es ist schon so, dass diese Nacht in der U-Bahnstation tatsächlich nicht nur ihr Leben verändert weil es ein Trauma darstellt und sich deshalb alles verändert, sondern sie hat vor allem den Mut einfach zu gehen, weil sie sich gezwungen fühlt zu fliehen. Sie muss weg und macht den Schritt, nach dem sie sich schon sehnt, sie hat ja schon vorher im Kopf wegzugehen und kein Bock mehr auf die Eltern. Das heisst, diese Nacht führt schon dazu, dass sie zwangsläufig einen Schritt gehen muss, aber in der Folge macht sie halt all die Dinge, die sie sich vorher nur vorgestellt hat und sie ist halt auf sich allein gestellt, das heisst sie muss anfangen Entscheidungen zu treffen. Sie hat aber auch Spaß daran, weil das ist ja die Sache nach der sie sich gesehnt hat, also nach der sich viele junge Frauen sehnen, dieses selbstbestimmte Leben, das einem nicht die ganze Zeit jemand reinquatscht und sagt mach dies oder mach das, sondern einfach rauszugehen und eigene Entscheidungen zu treffen. Und Hazal trifft auch voll viele falsche Entscheidungen, aber es sind ihre eigenen und das ist natürlich voll empowernd für sie und gleichzeitig, weil es den Ursprung in der Nacht hat, ist ihr Verhältnis zu dieser Nacht auch sehr zwiespältig. Es ist nicht so ganz klar, sie leidet ja voll unter der Sache und auf der anderen Seite will sie dem schon auch so einen Sinn geben. Warum ist das passiert? Und danach hat sich alles verändert und irgendwie ist alles geil und irgendwie auch überhaupt nicht, weil die Türkei ja auch nicht so ist, wie sie es sich erträumt hatte: Ihr Typ ist scheiße, alles ist eigentlich am Arsch. Aber sie ist auch körperlich irgendwie ganz anders in Istanbul. Es ist eine Emanzipationsgeschichte, die auf jeden Fall ihren Ursprung in der Nacht hat.
Und es ist interessant, dass du das ansprichst, weil ich habe letztens mit jemanden gesprochen, die wollte eventuell das Buch verfilmen. Wir haben nur Kaffee getrunken es ist nichts bei rumgekommen, weil ich irgendwann voll abgeturnt war, als sie gesagt hat: „Ja, aber der ganze Istanbulteil, den kann man ja ganz kurz machen, der spielt jetzt keine Rolle, da passiert ja auch nichts.“ Ich war so: „What??“ [beide lachen] Sie will nur Berlin zeigen und dann passiert es und dann ist sie kurz noch in Istanbul und dann war es das? Ich war so: Äh, ne da fängt es eigentlich so richtig an. Also vom Gefühl her kann ich verstehen, dass sie das filmisch nicht so sieht, klar, aber ich war so „okay du hast nichts verstanden, tschüss“ [lacht]. Nein, so ist es nicht, aber ich fand es interessant, dass sie das so gelesen hat und ich auf der anderen Seite eigentlich Berlin als Prolog sehe für das was eigentlich kommt.
Ja, weil Hazal sich ja vorher auch zwangsläufig treiben lassen muss auf gewisse Art und Weise, weil sie mit dem Kopf irgendwo dran stößt, wo sie weiter nach oben will, aber in Istanbul entscheidet sie sich aktiv gegen Mehmet und aktiv gegen sogar die Tante, das heisst sie weiß zwar nicht was sie will, aber sie weiß zumindest was sie nicht will. Ich habe Hazal auch als sehr empowernd gelesen. Es hat mir auch was gegeben, weil ich das Gefühl hatte, dass sie irgendwann loslässt.
Mhm.
Was hast du für einen Bezug zu Hazal? Was bedeutet sie für dich?
Sie hat mich voll lange begleitet. Die ganze Geschichte steht und fällt ja mir ihr, weil wir alles aus ihrer Perspektive sehen, das heisst es ist alles total subjektiv und es passiert im Buch auch nur das, was sie wahrnimmt oder wahrnehmen möchte. Und dementsprechend lief dieser ganze Prozess vom Schreiben eigentlich nur so, dass ich Hazal versucht habe besser zu verstehen und kennenzulernen. Am Anfang hast du eine Person gezeichnet, die funktioniert in ein, zwei Kapiteln, alles klar, dann kommen aber neue Figuren und neue Situationen hinzu und die Frage ist was dann passiert und ob es überhaupt Sinn macht. Das Ding ist, wenn die Figur irgendwann unrealistisch werden würde, dann funktioniert halt nichts mehr in dem Buch und dann ist es einfach missglückt. Deswegen musste ich die ganze Zeit gucken, dass ich so nah wie möglich an ihr dran bleibe. Das ist voll seltsam, es ist eine komische Erfahrung, eine psychologisch realistische Figur zu erfinden. Realistisch heißt ja nur, dass sie nicht eindimensional werden darf ne? Weil es kein Muster gibt, nach dem wir alle handeln oder so aber es gibt Erfahrungswerte und es gibt Intuition, Impulse und sowas. Klar ist da viel von meiner Perspektive auf die Welt drin. Also ich bin nicht Hazal, aber wir haben sehr viele Gemeinsamkeiten würde ich sagen, deswegen ist sie mir schon super nah und gleichzeitig bin ich auch super genervt von ihr [beide lachen]. Aber klar, das hat was damit zu tun, dass wir uns so ähneln auf eine Art und Weise.
Klingt ein bisschen wie so ein Schwesternverhältnis.
Wie so ein böser Zwilling oder so. [beide lachen]
Hast du dir Sorgen gemacht, dass Leute Hazal, ihrer Familie oder ihrer Welt mit Vorurteilen begegnen beim Lesen?
Nein, ich weiß, dass Menschen ihnen mit Vorurteilen begegnen, also ich muss das nicht befürchten, es ist für mich schon klar. Aber dieses Wissen ist schon auch belastend, ich saß oft da und habe überlegt – okay bediene ich jetzt Stereotype? ist das ein Klischee? Was ist überhaupt ein Klischee? Ich habe auch Rückmeldung bekommen von jungen deutsch-türkischen Leser*innen. Eine hat gesagt sie findet das voll schrecklich wieder so eine negative Geschichte zu lesen und voller Klischees und warum ich nicht etwas positives geschrieben hätte, von jemandem der oder die was geschafft hat. Und ich war so: „eigentlich hat sie was geschafft, aber egal“ [lacht] aber ich verstehe den Impuls. Dennoch ist es nicht die Geschichte, die ich schreiben will. Im Endeffekt guckst du halt was für dich selbst funktioniert als Leser*in auch. Viele Szenen habe ich 10.000 mal geschrieben, weil ich gemerkt habe okay es ist so ein bestimmter Ton, der alles ganz anders macht. Jeder Roman, den ich dir in einundhalb Sätzen zusammenfasse kann sich anhören wie ein dummes Klischee, aber es ist halt mehr, weil es ein paar 100 Seiten länger ist. Ich habe mich irgendwann davon frei machen müssen. Es gab so einige Fragen in meinem Kopf, von denen ich mich loslösen musste damit ich einfach weitermachen konnte ohne direkt an meiner Angst, davor etwas falsch zu machen, zu scheitern. Du kannst nicht alles richtig machen, das geht nicht. Jetzt wo du von Vorurteilen sprichst, ich habe sogar damit gerechnet oder überlegt, was passiert wenn jetzt die Afd dieses Buch liest? Was denken die dann? Das Buch besteht nicht nur aus dem Satz „Die schmeißt ihn vor die U-Bahn und bereut es nicht“, man kann es damit zusammenfassen, ja, aber es geht um viel mehr. Ich hab das Gefühl, dass die Leute, die das buch gelesen haben, bzw. die, mit denen ich gesprochen habe bei Lesungen und hier und da, auch zu den Lesungen kommen und darüber sprechen wollen. Die fanden nicht alle das Ende gut, aber die haben lange darüber nachgedacht und das ist eigentlich voll die coole Reaktion, dass man Fragen aufwirft und Hazal muss ja nicht allen sympathisch sein. Gestern in Essen hat wieder jemand gesagt: „Ja, ich war so genervt und so wütend, dass sie gesagt hat sie bereut es nicht. Was soll das? Und dann habe ich voll lange darüber nachgedacht“ Ja, ist voll gut, ich habe auch lange darüber nachgedacht.
Ich habe noch eine Frage, die eigentlich keine Frage ist. Ich habe mir hier ‚Jugendsprache‘ notiert, was vor allem daran liegt, dass ich das Gefühl habe, dass die Jugendsprache und auch genau diese Jugendsprache, so abwesend ist von der Öffentlichkeit, von den Menschen, von irgendeiner Form von Literatur oder gehobener Literatur – oder überhaupt vom öffentlich Bild. Ich meine, es gehört ja zu Hazal dazu und wenn sie redet, redet sie so. Was ist dein Bezug dazu?
Ich fand Jugendsprache und ‚Slang‘ schon immer interessant, es ist ja auch etwas, das einem per se irgendwie näher ist, wenn vor allem die Muttersprache nicht deutsch ist oder so. Dann hast du nicht Eltern zuhause, die Hochdeutsch sprechen oder Bayrisch sprechen oder was auch immer. Mit meinen Freundinnen, deren Eltern auch kein deutsch zu Hause sprachen, war das die Art mit der wir unter einander kommuniziert haben, insofern habe ich da eine Nähe dazu. Aber in Ellbogen spiele ich ja so ein bisschen damit. Hazal spricht schon so, teilweise im Slang, aber teilweise auch gar nicht, teilweise ist es ein erfundener, zum Teil konstruierter Slang. Ich bin halt nicht mehr 17 und ich bin nicht im Wedding aufgewachsen. Außerdem hätte es mich wohl auch genervt 250 Seiten nur im Slang zu schreiben. Mir war es wichtig, dass die Sprache flexibel genug ist, dass sie auch verschiedene Szenen trägt. Hazal spricht auch anders, wenn sie zu Hause ist mit ihren Eltern und sie spricht anders wenn sie in Istanbul ist, weil sie sich nicht so ausdrücken kann wie sie möchte. Deswegen habe ich vor allem dann ein bisschen Jugendsprache mit reingenommen, wenn ich das Gefühl hatte, dass es passt und das ist halt meistens, wenn sie mit ihren Freundinnen spricht oder an einigen Stellen auch mit sich selbst. Es war also eher wie so eine Akzentsetzung. Das schöne an Literatur, wenn man den richtigen Verlag hat, der einem nicht alles ausreden möchte und was bei mir zum Glück nicht der Fall war, ist ja dass du sprachlich machen kannst was du willst. Und natürlich gibt es dann immer wieder irgendwelche Kritiker*innen – Die FAZ hat zum Beispiel geschrieben, ich würde nicht poetisch schreiben, weil ich zu wenig Adjektive benutze. Wo ich so dachte: „Mh, okay?!?“ [lacht] What ever.
[lacht] Nette Kategorie.
Ja ich benutze wohl zu wenig Adjektive. Vielleicht ist es ja mein Style, aber egal. Es ist halt so, dass du machen kannst was du willst und die Leute werden es eh lesen wie sie es wollen. Macht aber Spaß, weil es im Endeffekt deine kleine Welt ist, die du erschaffst und keiner kann dir da so richtig rein reden.