Literatur im Kinosaal

©privat

Von Verena Bracher

Am Anfang war Harun Farocki.

Oder vielleicht war da Anna Seghers.

Oder vielleicht war da Anna Seghers Sohn, der auf der Premiere von Cristian Petzolds Film Transit dem Regisseur schildert, wie seine Mutter im Exil in Marseille ihren Kindern von der jahrtausendealten Geschichte von Flucht und Exil erzählt und ihnen die Odyssee vorliest. Also eigentlich, eigentlich war am Anfang wohl Odysseus, wie er zehn Jahre lang den Weg nach Hause suchte.

Da sitzt er also, der Christian Petzold, vor dem Hintergrund eines vollgestopften Bücherregals, und spricht via Skype zu dem Publikum im Bremer Kommunalkino City 46. Ob der Kamerawinkel wohl inszeniert ist? Wahrscheinlich nicht.  Andererseits, Petzold ist ja Regisseur. Und Bücherregal und Literaturfestival, die Assoziation ist einfach zu deutlich.

Petzold sitzt da und erzählt von seinem Freund Harun Farocki. Denn am Anfang jeder Geschichte über den Film Transit, steht für Petzold immer Farocki. Und dessen „Lebensbuch“ – Transit, geschrieben 1944 von Anna Seghers. Das Buch, das Farocki und Petzold durch alle gemeinsamen Drehbücher begleitet hat.

2014 stirbt Farocki im Alter von 70 Jahren. Und Petzold beschließt Transit auf die Leinwand zu bringen. Aber nein, keine `Verfilmung´. Denn da ist noch der große Alfred Hitchcock und sein berühmtes Zitat „Man kann nur schlechte Bücher verfilmen.“ Und Petzold, der das ziemlich genauso sieht. Also keine Verfilmung, Petzold arbeitet nämlich nur mit seiner Erinnerung. Eine Erinnerung an was er vor Jahren gelesen hat. Sein Mittel diese Erinnerung hervorzurufen? Mittagsschlaf halten. Das erzählt er den Kinobesuchern im City 46. Gelächter.

Die Besucher, das sind eigentlich Besucher eines Literaturfestivals. Die sitzen aber jetzt in roten, samtenen Kinosesseln. Schauen auf eine Leinwand. Hören einen Gong. Der Film beginnt.

„Das Kino ist eigentlich ein Transitraum“ sagt Petzold, „Wir sind im Kino in Zwischenräumen“.  Wie passend. Transiträume, die können ja eigentlich überall entstehen. Selbst das elterliche Reihenhaus kann ein Transitraum sein, sagt Petzold.

Die Hauptfigur ist Georg – porträtiert von einem großartigen Franz Rogowski. „Eine absolute Kinofigur“, sagt Petzold. Georg schleppe ja eigentlich nicht viel mit sich rum, ist ungebunden, eine männliche Schlampe. So sagt Petzold das nicht, aber er erwähnt die etwa 20 Frauen mit denen Georg im Laufe der Handlung ins Bett geht. Eine maskuline Figur, in Kontrast gesetzt mit den `reinen´ Frauenfiguren des Buches. Das klingt, als hätte es ein Mann geschrieben. Es war aber eine Autorin, Anna Seghers.

Anna Seghers ist eine alleinerziehende Schriftstellerin, die mit ihren Kindern vor den Schrecken des dritten Reiches flieht. Eine Frau im Exil. Eine Frau auf der Flucht. Eine Frau, die schreibt – und sich dabei in einer Männerfigur neu erfindet.

Auf der Leinwand vermischen sich Seghers Schilderungen einer Stadt im Schatten des sich ausbreitenden Nationalsozialismus der 40er-Jahre und Petzolds Aufnahmen eines modernen Marseille. Städte seien Orte, in denen es nicht nur eine Zeitebene gäbe, erklärt er und gibt den Zuschauern das Bild der Stolpersteine weiter. Stolpersteine, eingelassen in die Kopfsteinpflaster deutscher Städte. Verweise auf eine andere, vergangene Zeit und gleichzeitig mit einer Präsenz im Hier und Heute versehen.

Der Hip-Hop-Sänger Trettmann hat das in einem Lied festgehalten: „Setz mich hin, Vor ihrer Haustür, Sie ging ein und aus hier, Saß sie auch hier, Hier im Viertel, Wo jeder jeden kennt“. Petzolds Sohn hört gerne die Musik von Trettmann.

Die Sirene eines Martinshorns. Polizeigefährte rasen durch französische Straßen. Polizisten springen heraus. Sie jagen Georg. Georg läuft. Eine Eisenbahn nimmt Fahrt auf. Bilder von Schienen. Eine Szene in einem Kaffeehaus, Menschen ins Gespräch vertieft. Die ruhige, angenehme Stimme von Matthias Brand als Erzähler.

Der Erzähler sei ein falscher Zeuge, warnt Christian Petzold die Kinobesucher. Genau wie der Regisseur selbst, es ist ja keine Verfilmung.

„Ich beende“, sagt Petzold und der Skype-Anruf wird unterbrochen. Die Augen der Literaturbegeisterten hängen an der Leinwand.

Transit (2018), Regie von Christian Petzold. Deutschland/Frankreich, 101 Minuten.

Kommentar verfassen

Trage deine Daten unten ein oder klicke ein Icon um dich einzuloggen:

WordPress.com-Logo

Du kommentierst mit Deinem WordPress.com-Konto. Abmelden /  Ändern )

Twitter-Bild

Du kommentierst mit Deinem Twitter-Konto. Abmelden /  Ändern )

Facebook-Foto

Du kommentierst mit Deinem Facebook-Konto. Abmelden /  Ändern )

Verbinde mit %s