Es lebe der Kommunismus! Oder…?

Foto: privat

von Tanja Hubenko

„An barbarische Rückfälle, wie Krieg zwischen den Völkern Europas, glaubte man so wenig wie an Hexen und Gespenster“ (S. 151)

Traumland ist ein wunderlustiges Buch, das genau null lustige Geschichten enthält. Adam Soboczynski schreibt über seine Kindheits- und Jugenderinnerungen und seine bikulturellen Erfahrungen, reflektiert über politische und kulturelle Themen zwischen den beiden grundverschiedenen Mentalitäten der West- und Osteuropäer, beschreibt das bunte Zuhause und das vernachlässigte Selbstwertgefühl des Ostens und macht sich spielerisch über die zeitgenössische Politik des Westens lustig.

Beim Lesen spürt man zwei große Parallelen, zwei Welten, die sich gegenüberstehen und ständig miteinander verglichen werden. Die erste Welt ist der Westen mit seiner Demokratie, dem Kapitalismus, den echten Würsten in den Auslagen der Geschäfte, dem riesigen Angebot an Parfüms und Madonna über Kopfhörer. Über die zweite Welt, den Osten, schreibt der Autor: „Eine Welt, in der die Frauen mit vierzig schon aussahen wie heute Sechzigjährige, in der die Männer schon morgens so viel soffen, dass die Frauen sie aufs Feld prügeln mussten, und in der die verlogenen Priester ungefähr so machtvoll waren wie die verlogenen Parteisekretäre“ (S. 8-9). Und auch wenn diese beiden Welten noch zu einer zusammenwachsen, sich anfreunden“ und in Frieden und Harmonie zusammenleben sollen, ist die große Kluft in den Köpfen der Menschen nicht verschwunden.

„Im Westen laborierte man an der Überwindung der Geschlechtergrenzen, der Nation, der Kleiderordnung und des generischen Maskulinums, doch je weiter man in den europäischen Osten kam, desto lebhafter wurden der Patriotismus, das Patriarchat, die Kleinfamilie gerühmt. Was die einen als Fortschritt begriffen, empfanden die anderen als schwere Verirrung“ (S. 42)

Trotz der schwierigen historischen Ereignisse und der moralisch schwer zu lesenden Phänomenen habe ich selten mein Lächeln verloren. „Um nicht zu weinen, habe ich gelacht“ – so hat die ukrainische Dichterin Lessja Ukrajinka einmal geschrieben, und es scheint, dass Adam Soboczynski dies nicht nur verstanden, sondern auch beim Schreiben des Buches umgesetzt hat. Er durchdringt jedes Wort mit Ironie und in einigen surrealen Momenten wirft er seinen Lesern schwarzen Humor entgegen.

Was ich auch sehr interessant fand, war der Titel des Buches. Traumland. Was ist aber ein Traumland? Auf den ersten Blick scheint es recht prosaisch: Es ist das Westdeutschland, von dem seine Mutter dem kleinen Adam vor dem Schlafengehen so faszinierend zu erzählen pflegte. Das paradiesische Land, in dem man nicht Schlange stehen und sich zu fünft in kleine Gemeinschaftswohnungen quetschen muss. Das Traumland mit Demokratie, Wahlmöglichkeiten und Freiheit. Doch als ich weiterlas, wurde mir klar, dass das Traumland nicht Deutschland oder Amerika ist.

Adam Soboczynski schließt das Buch mit einer Analyse der Rede Wladimir Putins vom September 2022, in der er die eroberten Gebiete der ukrainischen Regionen Charkiw, Cherson, Donezk und Luhansk für russisch erklärte. Er, Putin, schafft sich sein Traumland. Ein Traumland ohne Demokratie, Meinungsfreiheit und Frieden. Ein Traumland voller Terror.

Das Buch ist lesenswert für alle, die sich für Geschichte interessieren, aber Angst haben, auf den ersten Seiten einzuschlafen. Denn das wird definitiv nicht passieren.
Für alle, die nicht verstehen, warum es so wichtig ist, über das zu sprechen, was in Osteuropa passiert ist und immer noch passiert.
Für alle, die gedankenlos pro-kommunistische Plakate in den Städten aufhängen und blind an die Rettung durch diese schreckliche Ideologie glauben.
Für alle.

Adam Sobocynski, Traumland. Der Westen, der Osten und ich, 2023, Klett-Cotta, 176 Seiten, 20€

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