
von Kim Punkte
Wir haben es alle bereits vermutet, die Box misstrauisch beäugt, doch Marlen Hobrack, da bin ich mir nach dem Lesen ihres Debüts Schrödingers Grrrl ziemlich sicher, hat den berüchtigten Deckel von Schrödingers Box angehoben, nachgeschaut – zumindest, wenn sie die Box mit der gleichen schonungslosen Pragmatik angegangen ist, wie ihren Roman – und erkannt, die Katze ist tot. Anders als wir Außenstehende, die an der Hoffnung beinahe erbärmlich festhalten und hoffen, dass die im Inneren zusammen mit dem Gift gefangene Katze entgegen aller Wahrscheinlichkeit noch lebt, solange wir den Deckel einfach weiter verschlossen halten und die Realität ignorieren, schaut Hobrack mit ihrem Werk in eben jene unschöne Ecken hinter den Deckmantel der Gesellschaft, vor denen es vielen scheut, sie zu betrachten.
Mara, die Protagonistin des Buches, verschließt die Augen jedoch nicht, sondern sieht hin und zwingt uns, mit ihr zusammen einen Blick auf die Gesellschaft zu werfen und auch in ihrem Kopf zu leben: In der Innenwelt einer an Langzeitig-Depressionen erkrankten jungen Frau, die von Hartz4 lebt und die den Alltag so nimmt wie er kommt – ziemlich beschissen.
„Stolz muss an sich leisten können. Das weißt du doch am besten.“ (Hobrack 2023: 61)
Vorurteile, Gesellschaftsstrukturen, psychische Krankheiten und das verdammte lästige Bedürfnis, eben doch in eine Gesellschaft zu passen, die es sich zur Aufgabe macht, auszugrenzen, was nicht in eine kleine Box passt (Schrödingers oder andere), sind Fokuspunkt der Geschichte.
Jeder Absatz erzählt seine eigene kurze Geschichte, seinen eigenen Einblick in Maras Leben oder das Leben ihrer Mitmenschen, folgt einer kohärenten Erzählweise, doch lässt sich ebenso querlesen: Es geht nicht um die Handlung, den Plot, sondern den Weg zum unerreichten Ziel.
Die Autorin nutzt kurze Sätze und sehr bildhafte Sprache mit vielen Vergleichen und unangenehmen Klischees, wohl auch, um Unwohlsein zu erzeugen. Bewusst gesetzte Interpunktion und ein ständiger Perspektivwechsel von Allwissend auf Ich-Erzähler finden statt. In jedem Absatz muss umgedacht werden, die eigene Perspektive hinterfragt werden: „Bin ich noch immer Mara oder vielleicht doch der PR-Agent Hanno, der nach Schwachstellen der jungen Frau Mara sucht, um sie für seine Zwecke auszubeuten? Ist die Perspektive überhaupt wichtig, wenn es doch darum geht zu erzählen, wie jeder am Ende doch sich selbst am Nähesten ist?“ Ganze Absätze finden in reiner Dialogform statt, so dass keine Perspektive zu erkennen ist. Das Buch bekommt eine wechselnde Lesegeschwindigkeit und zeigt dabei durch seine stilistischen Mittel, wie es sich anfühlen muss, ein paar Meter in Maras Schuhen zu laufen. Mal rauschen die Seiten an einem vorbei, mal ziehen sie sich wie Kaugummi mit bildlich-plastischen Beschreibungen und Momenten, die zum Nachdenken anregen. Durch die Ich-Perspektive ins Geschehen gesogen, ist man dabei mal ganz nah, dann wieder schaut man von außen zu: Repräsentativ für die Depression und das „Zuschauen“ von außen, während man anderen etwas vorspielt.
„Das Problem liegt im Inneren, gleich hinter der Tür. Sobald man sie öffnet, gelangen unschöne Dinge zum Vorschein.“ (Hobrack 2023:7)
Auch wenn das Buch auf literarischer Ebene durchdacht ist, die Perspektivwechsel gezielt eingesetzt sind und die Geschichte in seinem Handlungsablauf chronologisch zeitlich einem roten Faden folgt, konnte es mich persönlich nicht als „Roman“ abholen. In einzelnen Kapiteln (die nicht in klassische Kapitel unterteilt sind) bietet das Buch viel Stoff zum Nachdenken, aber, wie ich persönlich finde, leider keinen starken Plot oder eine sympathische Protagonist*in, die mich motiviert, die Geschichte in einem Rutsch bis zum Ende zu lesen. Stattdessen möchte ich sie in kleinen Etappen betrachten, sie auseinandernehmen und nachwirken lassen. Das Buch geht einem nahe und die emotionale Verfassung muss gegeben sein, damit man sich mit der Handlung auseinandersetzen möchte.
Vielleicht ist es der Jahreszeit geschuldet, dem dunkler werdenden Wetter und der generell negativ geprägten Stimmung, die auch die Seiten des Romans zu beschwören wissen, doch für mich war er immer nur in kleinen Dosen zu ertragen, denn Mara schaut hin: Sie sieht hinter die Fassaden der Gesellschaft, mal von außen, mal von innen, und deckt die hässliche Wahrheit auf, die wir gerne alle zu verdrängen versuchen.
Marlen Hobrack, Schrödingers Grrrl, 2023, Verbrecher Verlag , 270 Seiten, 24 Euro