The future is not female – because they are all dead.

(c) privat

von Nina Funk

Green City. Eine moderne Metropole hundert Jahre in der Zukunft. Die Bürger*innen der Stadt atmen gefilterte Luft, lassen sich in selbstfahrenden Automobilen herumkutschieren und nutzen fortschrittlichste Technologien. Ein futuristisches Paradies, das dunkle Schatten birgt. Viel ist passiert im vergangenen Jahrhundert: Atomkriege haben die Länder Südwestasiens in Schutt und Asche gelegt. Der Großteil der weiblichen Bevölkerung wurde von einer tödlichen Mutation des HPV-Virus ausgelöscht. Frauen sind eine vom Aussterben bedrohte Rasse. Nun gebührt den wenigen überlebenden Bürgerinnen von Green City die fragwürdige Ehre, das Überleben der Bevölkerung zu sichern. Die strengen Gesetzte einer autoritären Obrigkeit verpflichten die Frauen dazu, mindestens 3 Gatten gleichzeitig zu nehmen und ihre Körper mit Fruchtbarkeitshormonen vollzupumpen. So sollen sie – einer Gebärmaschine gleich – möglichst effizient für Nachwuchs sorgen. Während die Bürgerinnen von Green City einem freiheitslosen, dauerschwangeren Brutkasten-Dasein fristen, gelingt es einer Handvoll Frauen in den Untergrund zu flüchten. Sabine, Lin, Rupa und einige andere leben hier unter dem Schutz der Panah (engl.: shelter). Doch der kleinen Gruppe gelingt es trotz allem nicht, sich vollständig aus der Kodependenz des Patriarchats zu befreien. Um zu überleben, verkaufen die Panah ein selten gewordenes Gut an die hochsituierte, männliche Elite von Green City: Nächtliche Zweisamkeit und Stunden der Intimität, ohne Sex.

Soweit die gewagte und faszinierende Prämisse von Bina Shahs Roman Die Geschichte der schweigenden Frauen. Eine frauenzentrierte, feministische, Science-Fiction Dystopie von einer pakistanischen Autorin. Was will man mehr? Ich war bereit dieses Buch zu lieben. Allerdings legte Bina Shah mir auf meiner Lesereise einige Steine in den Weg. Einige dieser Hindernisse machten es mir schwer, der Geschichte überhaupt etwas Positives abzugewinnen. Andere entpuppten sich als Brocken meiner eigenen Ignoranz, die mir eine sensibilisierte Sicht auf die Dinge verwehrte. 

Binah Shah nutzt eine Polyphonie der Stimmen, um ihre Geschichte zu erzählen. Sie schreibt aus der Sicht der Panah-Frauen, aber auch aus der ihrer Klienten, den machthabenden Männern von Green City. Seltsamerweise schmelzen all diese Stimmen trotzdem zu einer Art Einheitsbrei zusammen, aus dem flache Charaktere mit schemenhaften Persönlichkeiten heraufsteigen. Shah‘s Schreibstil ist unverblümt, direkt, fast schon steril. Angesichts des Sachverhaltes vielleicht eine bewusste Entscheidung. Für mich als Leserin trotzdem eine klare Genussschmälerung. Auch ein schwieriges Thema bietet meiner Meinung nach Platz für Poesie. Geschmackssache.

Die Gliederung des Romans mag zunächst irreführend wirken. Die Geschichte ist in drei Teile unterteilt, betitelt: Unrast, Rebellion und Aufruhr. Wer hinter derart einschlagender Rhetorik eine Zusammenrottung von Regimegegner*innen mit anschließendem Aufstand und Zerschlagung der autoritären Obrigkeit vermutet, liegt allerdings falsch. Die Handlung spielt sich in einem begrenzten Kosmos ab und involviert nur wenige Figuren, deren Handeln die herrschenden Mächte kaum beeinträchtigt. Der narrative Fokus liegt auf Sabine. Sie wird Opfer sexuellen Missbrauchs durch einen ihrer Klienten und muss anschließend mit einer Eileiterschwangerschaft ins Krankenhaus eingeliefert werden. Nachdem sich ihr behandelnder Arzt innerhalb weniger Tage unsterblich in sie verliebt, fliehen die beiden über die Grenze von Green City. An dieser Stelle endet der Roman. Dabei wurde es gerade erst spannend!

Ich bin normalerweise kein Feind von offenen Enden, doch in diesem Fall bleiben entscheidende Fragen ungeklärt. Was passiert mit den Panah? Wird Sabines Vergewaltiger einer gerechten Strafe zugeführt? Wie geht das Leben in Green City weiter? Wie sieht das Leben jenseits der Grenze aus? Die Geschichte der schweigenden Frauen fühlt sich an wie das erste Kapitel einer viel größeren Geschichte. So viel ungenutztes Potential bleibt zwischen den grob ausgeführten Handlungssträngen einer vielversprechend aufgebauten Welt liegen. In Anbetracht dessen scheint das Narrativ unnötig mit Exposition und World-Building verklebt, das meiste kommt ja eh nicht zum Tragen. 

An dieser Stelle ist es mir wichtig, mein eigenes kulturelles Missverständnis aufzuklären. In meiner Unzufriedenheit über den dünnen Plot, der weder bewaffnete Aufstände noch die Niederlage des Patriarchats beinhaltet, spiegelt sich eine westliche Erwartungshaltung. Binah Shah verarbeitet in diesem Roman die Unterdrückung der Frauen in der pakistanischen Gesellschaft, in der Frauen als „Bürger*innen zweiter Klasse“ betrachtet werden. In einem solchen System ist der Zerschlag des Patriarchats unrealistisches Wunschdenken. Dazu möchte ich ein Zitat der Autorin anführen:

“We don´t smash the patriarchy [in Pakistan]. [Western Feminism] doesn´t work for us because our system is so far behind. What do we talk about smashing patriarchy? You get smashed. […] When you are just trying to survive you will bargain with patriarchy, you will negotiate with it, you will work with it to get what you want.”

Bina Shah zit. nach: Karachi & Islamabad Literature Festivals (2022): Before She Sleeps by Bina Shah, https://www.youtube.com/watch?v=vG0pe6xPXcc&ab_channel=Karachi%26IslamabadLiteratureFestivals (zuletzt abgerufen am 18.05.24).

Und genau das ist der Punkt. In Die Geschichte der schweigenden Frauen geht es um eine subtile Form der Rebellion. Allein die Existenz der Panah stellt in diesem System eine Form von Widerstand dar. Wenn ich mich also darüber beschwere, dass die Rebellion der Frauen nur in Kodependenz mit dem Patriarchat funktioniert, dass die begrenzte Freiheit der Panah mit ihren männlichen Verbündeten steht und fällt, so übersehe ich, dass der Widerstand dieser Frauen im Handel mit dem Patriarchat funktioniert, nicht im Kampf dagegen.

In diesem Sinne ist der Roman eine wertvolle, kulturelle Erweiterung zu einem globalen feministischen Diskurs, den unter anderem Bücher wie The Handmaids Tale angestoßen haben. Ein Lesevergnügen ist dieses Buch trotzdem nicht. Soll es vermutlich auch nicht sein. Aber ich hätte mir durchaus gewünscht, das Bina Shah etwas mehr anfängt, mit der Welt, die sie in Die Geschichte der schweigenden Frauen geschaffen hat.

Die Geschichte der schweigenden Frauen von Bina Shah, 2019, Golkonda Verlag, 336 Seiten, 14€ (Taschenbuch)

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