#Höllentrip

(c) privat

von Nina Funk

Dieses Buch zuzuschlagen, gleicht dem Erwachen aus einem Fiebertraum, einem besonders irren Fiebertraum. Uns Leser*innen wird die fragwürdige Ehre zuteil, einen Influencer namens Jayden Checker – selbstverliebt, aufmerksamkeitsgeil, durchgeknallt – 14 Tage lang durch den Alltag zu begleiten. Wenn man das, was Jayden da so anstellt, als Alltag bezeichnen kann. Wenn er nicht gerade zur frühmorgendlichen Unzeit nackt und halluzinierend durch den Wald joggt, versucht einen Fuchskadaver zu grillen oder aus Dubai abgeschoben wird, produziert er unter vollem Körpereinsatz Videos für seine zahlreichen Follower*innen auf Social Media. Bei seinem Content handelt es sich um eine toxische Mischung aus Optimierungswahn, Fitnessfolter und brillanten Lebensweisheiten wie: „[…] Zeit ist KOSTENLOS du HURENSOHN […].“[1]  Offenbar ein geniales Konzept, denn Jayden erreicht ein Millionen-Publikum halbstarker Volldeppen, die es lieben, ihn zu hassen, oder auch hassen, ihn zu lieben. Das mantraartige Herunterleiern seiner Follower*innen-Zahlen ist bereits fester Bestandteil von Jaydens Morgenroutine. Neben Zahlen liebt Jayden außerdem Marken: Automarken, Kleidermarken, Handymarken. Jayden ist stolzer Besitzer eines LAMBORGHINI HURACÁN und eines APPLE IPHONE XR, woran wir mindestens alle drei Seiten in Großbuchstaben erinnert werden. Dieses Buch ist derart vollgepackt mit ungenierter Markenwerbung, dass es uns Leser*innen vorkommt, als wären wir selbst im Konsum-Strudel einer Insta-Timeline gefangen.  
Doch wer hätte es gedacht: Jaydens Lifestyle ist gar nicht so glorreich, wie er es uns glauben machen will. Wir haben es hier mit einem Protagonisten zu tun, der in den 14 Tagen, in denen wir ihn begleiten, keine auch nur ansatzweise wertvolle Persönlichkeitsentwicklung durchmacht. Stattdessen können wir hautnah den Prozess seiner Selbstzerstörung miterleben. Jayden leidet zweifellos an „Influencer“ im Endstadium und vermutlich auch an weiteren, durchaus lebensbedrohlichen Krankheiten. Seinen körperlichen Verfall scheint er jedoch nicht bewusst wahrzunehmen, beziehungsweise gekonnt zu ignorieren. Egal ob er blutigen Schleim hustet oder mal wieder unerwartet aus den Latschen kippt, die Devise lautet: Aufstehen, Six-Pack checken, weitermachen. Barfuß und im Delirium sprintet Jayden mit beängstigender Selbstverständlichkeit auf den Abgrund zu. Doch den endgültigen Sturz dürfen wir Leser*innen nicht miterleben. Das Buch endet ebenso abrupt, wie es begonnen hat. Die aufgebaute Erwartungshaltung, die Erzählung ende mit Jaydens unvermeidlichem Untergang, wird enttäuscht. Wir dürfen uns nun von dem wilden Ritt erholen und uns kinnstreichelnd fragen: Was will uns der Autor damit sagen? Hasst Daniel Kostuj Influencer? Ist Daniel Kostuj ein Influencer? Spricht er etwa aus Erfahrung? Überhaupt, wer ist Daniel Kostuj?      
Deutlich wird, dass der Autor in seiner Erzählung auf nicht allzu subtile Art eine harte Kontrastlinie zwischen der maßlosen Selbstüberschätzung seines Protagonisten und dessen eigentlicher Armseligkeit zeichnet. Von Anfang an ist uns klar, dass wir Jayden nicht zu bewundern, sondern höchstens zu bemitleiden haben. Vielleicht handelt es sich bei Kostujs Debütroman aber auch um die trotzige Überzeichnung einer Welt, die mit so vielen Vorurteilen zu kämpfen hat, dass es geradezu Spaß macht, die schlimmsten Befürchtungen der Kritiker*innen zu übertreffen. Gewissermaßen wird hier mit voller Absicht ein Feindbild bedient. So stellen sich Boomer einen Influencer vor. Besser: Junge Leute sind der Meinung, dass sich Boomer so einen Influencer vorstellen. Als mein Vater dieses Buch zufällig in die Finger bekam, ging er prompt davon aus, dass es sich hier um eine Autobiografie handelt. Sein Fazit zu dem Roman: Anstrengend. Ich muss ihm widersprechen. Meiner Meinung nach lässt sich dieses Buch ganz wunderbar in einem einzigen Rutsch wegkonsumieren, auch wenn die teilweise repetitive Erzählweise – es werden unerbittlich und immer wieder Follower*innen und Push-Ups gezählt – irgendwann nervt. Ansonsten steht die Bewusstseinsstrom-artige Erzähltechnik diesem Roman sehr gut. Es entsteht der Eindruck, als hätte der Autor es in einem einzigen manischen Moment heruntergeschrieben.            
Egoismus, Selbstkasteiung, Weltekel. Diese drei Schlagwörter würde ich Daniel Kostujs Debütroman zuordnen. Nicht unbedingt ein Buch zum Sinnieren und Philosophieren, aber dafür kurzweilig und abgefahren. It’s a vibe – wie die Kids es sagen würden.


[1] Daniel Kostuj: Das Leben eines Influencers, containerpress, 2024, S. 77.

Daniel Kostuj: Das Leben eines Influencers. Containerpress. 2024. 190 Seiten. 12€. Taschenbuch.

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