Was ist es wert zu töten – Was ist es wert zu überleben?

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von Julia Klumpe

Was ist es wert zu töten – Was ist es wert zu überleben?

Der korrupte Geschäftsmann Hunter ist Hobbyjäger. Stammesmitglied Dawid tötet, um zu überleben. Wie passen diese beiden Leben zusammen? Auf eine unvorhergesehene Weise treffen die Männer aufeinander und es beginnt ein Wettlauf gegen den Tod. Wird Hunter seiner Aufgabe als Jäger gerecht, oder hält ihn seine Moral davon ab, das zu tun, wofür er geboren wurde? Eine Jagd beginnt, die Hunter zutiefst verstören wird und die Frage nach dem Sinn des Tötens aufwirft. Gaea Schoeters Roman Trophäe bringt die Erkenntnis mit sich, dass man der Gewalt der Menschen nicht entkommen kann.

„Deine westliche Moral ist ein Luxusprodukt, das man sich leisten können muss. Der Rest der Welt muss mit Pragmatismus auskommen“ (S. 103)

Afrika. Es ist der Erdteil, in dem die Sahara ihr Zuhause hat, wo scheinbar unendliche Ressourcen zu finden sind und nicht zu vergessen die „Big Five“, die den riesigen Kontinent ihren Wohnort nennen können. Der korrupte Millionär John Hunter White hat es mit seiner Jagd auf ein altes Nashornmännchen abgesehen. Schon zu Anfang des Romans wird deutlich, dass Hunter eine hoch privilegierte Sichtweise einnimmt. Für ihn ist Afrika ein Vergnügungspark, in dem er sein Hobby ausleben kann, mehr nicht. Die Schlechtigkeit seines Charakters hat keine Grenzen. Warum also ausgerechnet einen privilegierten weißen Verbrecher aus Amerika zur Hauptfigur eines radikalen Romans machen, dessen Ziel es ist, genau diese Privilegierung in Frage zu stellen? Vermutlich aufgrund dieses Gegensatzes. Hunter ist sich seines privilegierten Lebens anfangs nicht bewusst. Er versucht sich und sein Handeln immer wieder zu rechtfertigen, während er andere Menschen für Gleiches verurteilt. Je weiter der Roman voranschreitet, desto mehr setzt sich Hunter mit den Stämmen vor Ort auseinander. Er beginnt zu verstehen, dass das Töten für diese Menschen überlebensnotwendig ist, und fängt an, die Strukturen vor Ort zu hinterfragen. Der Roman führt uns direkt vor Augen, dass wir nur einen kleinen Teil der Welt kennen und einen noch kleineren Teil davon verstehen. Dieser Sichtwechsel zwingt auch die Leser*innen dazu, sich der aufbauenden Thematik über Leben und Tod bewusst zu werden.

„Die Menschenjagd ist ein Nebenprodukt der Trophäenjagd. Und wer bezahlt das? […] Sie. Mit jedem Dollar, den Sie hier für den Artenschutz ausgeben“ (S. 93)

Der Roman beschäftigt sich nicht nur mit der Wildtierjagd, sondern führt im entsetzenden Ausmaß vor Augen, dass es ebenfalls eine Jagd nach Menschen gibt. Beschämend langsam kommt der wahre Charakter der Naturreservate zum Vorschein. Viele Stämme werden wie Ausstellungsstücke in den Reservaten präsentiert, oder ermordet. Hunters Sichtweise fängt an zu bröckeln. Hier führt Gaea Schoeters einen unendlichen Strudel an Gewalt und Verbrechen ein, aus dem es keinen Ausweg gibt. Nach dem Motto „gefressen oder gefressen werden“ wird eine Geschichte von Menschen erzählt, die am Rande der Gesellschaft irgendwie versuchen zu überleben. Zwar zieht sich dabei die Handlung an einigen Stellen durch die unfassbar detailreichen Beschreibungen, jedoch wird die Langatmigkeit direkt von den aufkommenden existenziellen Fragen nach der Wertigkeit von Leben und Tod überschattet.

„Er müsste ihn töten, er weiß, dass er ihn töten muss, so wie man jedes Tier, das leidet, tötet, aber etwas in ihm stellt sich queer“ (S. 203)

Die letzten Kapitel des Romans haben es in sich. Es folgt die Zerstörung jeglicher moralischer Vorstellungen. Mit dem jungen Mann Dawid, der davon träumt, nach Amerika auszuwandern, begibt Hunter sich auf eine letzte Reise, die unter dem Deckmantel des Todes steht. Sie sollen kein Tier sondern !Nqate jagen, ein Mitglied des gleichen Stammes. Schnell stellt sich heraus, dass Hunter nicht mit dem Gedanken zurechtkommt, einen Menschen zu töten. Es beginnt ein Wettlauf gegen das eigene Gewissen. Wie kann es sein, dass wir es moralisch verwerflicher finden, Menschen zu jagen als Tiere? Unterm Strich sind wir auch nur Tiere. Homo sapiens. Jeglicher moralischer Kompass, der existiert, wird in diesem Roman infragestellt. Es ist eine Geschichte voller Mord und Gewalt, in der die Abgründe des menschlichen Seins auf beklemmende und beschämende Weise dargestellt werden. Außerdem wird die Frage nach der Wertigkeit eines Lebens gestellt. Was bedeutet es zu leben, oder versuchen wir in dieser Welt lediglich zu überleben? Wer hat das Recht, über ein Leben zu bestimmen, und vor allem, wann kommen wir an die eigenen Grenzen unserer Moral?

Trophäe: Ein Muss für jeden Menschen, der sich mit Problemen auseinandersetzen möchte, die in der westlichen Welt nicht existieren. Ein Muss für jeden Menschen, der sich traut, sich seiner eigenen Privilegien bewusst zu werden und die Abgründe des menschlichen Seins ansatzweise verstehen zu wollen.

Trophäe von Gaea Schoeters, Paul Zsolnay Verlag, 252 Seiten, Hardcover, 24 €.

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