Was ist deine größte Angst?

(c) privat

von Evgenia Smychliaeva

Was passiert, wenn selbst unsere kleinsten Ängste plötzlich zum Leben erwachen? Das zeigt uns Barbi Marković mit ihrem neuesten Werk und entführt uns in die düstere Welt von Minihorror. Hier findet man sich an einem Ort wieder, wo die Grenzen zwischen Realität und Fiktion auf erschreckende Weise verschwimmen. Das Buch besteht aus einer Sammlung von kurzen Geschichten, die sich mit den alltäglichen Ängsten und den dunkelsten Gedanken der Protagonist*innen Mini und Miki auseinandersetzen. Dabei steht jede Geschichte für sich allein und doch sind die Erzählungen alle miteinander verwoben.

Was verstehen wir unter Horror? Diese Frage stellte sich mir, als ich die ersten Seiten des Buches las. Manche verbinden Horror zum Beispiel mit „fleischfressenden Monstern“, gruseligen Figuren, Geistern oder paranormalen Aktivitäten. Doch es steckt viel mehr dahinter als nur das. Die Geschichten von Mini und Miki handeln von den kleinen, oft übersehenen Schrecken des Lebens – sei es die Angst vor dem Unbekannten, die Furcht vor dem Versagen oder die schleichende Einsamkeit. Die Themen, die im Buch auf humorvolle Weise angesprochen werden, sind vielfältig und relevant. Es geht um familiäre Verhältnisse, den sozialen Druck, den Erwartungen anderer gerecht werden zu müssen, die menschliche Psyche und um die Suche nach der Perfektion im Leben.

„Auch wenn wir jetzt tot sind und aber denken, dass wir es nicht sind, dann stressen wir uns weiter und arbeiten und werden krank und empfinden Schmerzen. Dann müssen wir leben, auch wenn wir tot sind.“ (S.68)

Mit jedem Kapitel lernt man Mini und Miki immer besser kennen, sie entwickeln sich weiter. Die Art und Weise, wie sie mit verschiedenen Situationen umgehen oder darauf reagieren, macht sie als Charaktere im Verlauf des Lesens noch authentischer und nachvollziehbarer als zu Beginn. Durch die Erzählperspektive werden viele Details offenbart, sodass einem das Gefühl gegeben wird, die schleichende Bedrohung und die emotionale Zerbrechlichkeit der Protagonist*innen still beobachten und miterleben zu können. Einige der Geschichten enden abrupt, ohne eine wirkliche Auflösung oder Erklärung. Zum einen schafft dies Raum für die eigene Interpretation, Fantasie und Vorstellungskraft. Zum anderen kann es auch ein wenig frustrierend sein, wenn man wissen möchte, was tatsächlich dahintersteckt oder wie es weitergeht.

Wenn man sich das comichafte Buchcover anschaut, vermittelt dieses auf den ersten Blick einen ganz anderen Eindruck. Die knalligen und lebensfrohen Farben sind praktisch ein direkter Kontrast zu den eher düsteren und teilweise verstörenden Inhalten. Zusätzlich könnte man denken, dass es sich bei den Protagonist*innen um die Disney-Zeichentrickfiguren Micky und Minnie Maus handeln könnte, die nun eine menschliche Gestalt angenommen haben und sich mit verschiedenen Herausforderungen und Problemen herumschlagen müssen.

Markovićs Stil ist einzigartig und fesselnd. Ihre Geschichten sind voller schräger Fantasie und humorvoller Beobachtungen, die alltägliche Szenarien beunruhigend und beängstigend erscheinen lassen. Es ist erstaunlich, wie leicht das Leben in Albträume verwandelt werden kann. Die prägnante Sprache und die bildhaften Darstellungen können für eine fast schon beklemmende Stimmung sorgen, die einen dazu verleitet, sich mit den eigenen Ängsten zu beschäftigen. Während bestimmte Teile einen wiederum zum Schmunzeln bringen können.

Minihorror bietet ein eindringliches Leseerlebnis, das von Unterhaltung, Nervenkitzel und Verstörung bis hin zu tiefem Nachdenken reicht. Der Gedanke, dass es auch die kleinsten Dinge sein können, die die größte Angst hervorrufen, bleibt auch nach dem Lesen immer noch in meinem Kopf. Es ist keine Überraschung, dass die Autorin für das Buch mit dem Preis der Leipziger Buchmesse ausgezeichnet wurde. Das Buch ist vor allem empfehlenswert für Leser*innen, die an weniger klassischer Horrorliteratur interessiert sind. Surreal – das trifft es ganz gut.

Minihorror von Barbi Marković, Residenz Verlag, 186 Seiten, Hardcover, 24€

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