
Es ist selten, dass ein Buch es schafft, einen so vollkommen in den Kopf, in die Gedanken, jemand anderes eintauchen zu lassen, wie Rasha Khayat es mit Ich komme nicht zurück schafft. Wenn man den Roman liest, erfährt man, wie es ist Hanna, eigentlich Johanna, die Ich-Erzählerin – oder sollte man lieber sagen, Ich-Erleberin? – zu sein. Das in der Philosophie des Geistes so vielfach diskutierte Qualia-Problem wird gewissermaßen durchbrochen. Unmittelbar erlebt man als Leser*in, was Hanna erlebt, jedenfalls in jedem zweiten Kapitel. In den anderen erinnert sie sich an Erlebnisse aus der Vergangenheit, diese Kapitel sind im Präteritum geschrieben und dadurch weniger unmittelbar, doch auch hier ist die Perspektive Hannas spürbar. Durchgängig gibt es ein „Du“ und schon früh wird klar, um wen es geht: Zeyna.
Ein „Du“ hat normalerweise die Wirkung, dass man sich angesprochen fühlt, jeder Mensch kann schließlich „Du“ sein, doch in diesem Fall ist der gesamte Roman eine Art Monolog von Hanna, welche Zeyna immer wieder als „Du“ anspricht, wie in einem Brief. Zeyna selbst kommt dabei kaum zu Wort, sie ist in Hannas gegenwärtigem Leben abwesend und doch omnipräsent, da sie stetig an sie denkt.
Hanna ist Lehrerin und sie wohnt alleine in der Wohnung ihrer verstorbenen Großeltern in einer Siedlung im Ruhrgebiet. Es ist die Zeit der Pandemie und Hanna denkt viel darüber nach, was war. Denkt an die eigentlich seit Kindertagen bestehende Dreierfreundschaft zwischen Cem, Zeyna und ihr. Mit Cem steht sie noch in regem Kontakt, mit Zeyna ist Funkstille. Nach und nach wird aus Hannas Blickwinkel aufgedröselt, was war und wie es zum Ist-Zustand gekommen ist.
Mit der Art, wie sie die Sprache gebraucht, werden von Rasha Khayat Bilder, Geräusche, Geschmäcker und Gerüche geschaffen. Es werden Liedtexte zitiert, Holzstörche beschrieben und bestimmte Sätze auffällig häufig wiederholt. Zur Spitze getrieben wird dies im vierten Kapitel, welches aus der Anhäufung ein und desselben Satzes besteht: „Ich will, dass sich jemand mit mir erinnert“. Hannas Gedanken und Sorgen werden so in ihrer Dringlichkeit verdeutlicht. Mit wenigen Pinselstrichen (nur Ausschnitte aus den Leben werden erzählt) ist es als Leser*in des Romans möglich, ja geradezu unumgänglich, eine Beziehung und ein Gefühl zu den verschieden Menschen aufzubauen. „Menschen“, nicht „Figuren“, denn so wirken sie. Felizia, Theo, Nabil, Zeyna, Cem und natürlich Hanna.
Ich komme nicht zurück ist ein Buch über Trauer und über Freundschaft, über Fremdenhass und Hilflosigkeit, über Familie und Einsamkeit, über das Gefühl Zusammenzugehören, auch wenn man manchmal eifersüchtig auf die andere Person ist. Ich komme nicht zurück ist ein Buch, das in seiner Menschlichkeit berührt.
Ich komme nicht zurück von Rasha Khayat, 2024, DuMont Buchverlag, 176 Seiten, Hardcover, 24 €