
von Tanja Fortman
Was braucht der perfekte Staat? Über dieser Frage stecken die drei Freundinnen Annett, Peggy und Wenke sieben Nächte lang die Köpfe zusammen und geraten in hitzige Diskussionen. Zwischen Enzyklopädien, persönlichen Erfahrungen und der Stadtgeschichte von Berlin – an der sie teilweise selbst mitgearbeitet haben – reichen die Gesprächsthemen von Eigentum und Feminismus über Privilegien bis hin zur Frage, was Dialektik eigentlich ist und wie man mit der heutigen Körperpolitik umgehen sollte. Dabei stoßen sie immer wieder auf Wiedersprüche – untereinander, aber auch zwischen ihren einstigen Idealen und der Gegenwart. Wieviel ist von ihrem jugendlichen Tatendrang die Welt zu einem besseren Ort zu machen übrig geblieben und was bedeuten diese Ideale heute noch für sie?
Statt fertige Antworten zu präsentieren, laden die Autorinnen dazu ein, sich mit ihnen auf den Balkon zu setzen und über einem Feierabendbierchen den eigenen Standpunkt zu reflektieren. Die Gespräche sind in sieben Kapiteln in Form von Transkripten wiedergegeben, aufgelockert durch eingestreute Erzählungen, Gedichte und Wenkes private Fotografien. Teils autobiographisch, teils von einem, „den man halt kennt“, bieten sie einen sehr persönlichen Einblick hinter die Kulissen der Berliner Politikszene. Auf diese Weise erfährt man u.a. bislang unveröffentlichte Hintergründe über die Frauenbewegung „Lila Offensive“, die Besetzung der Mainzer Straße oder den Verfassungsentwurf des Runden Tisches von 1990.
Annett, Peggy und Wenke beleuchten auch das Klischee der sogenannten „Ostfrau“, indem sie Erfahrungen aus ihrer Kindheit in der DDR und ihrer Zeit nach der Wende austauschen. Annett Gröschner, welche als Schriftstellerin und Journalistin tätig ist, wurde 1964 in Magdeburg geboren und wohnt seit 1983 in Berlin. Peggy Mädler, 1976 in Dresden geborgen, wohnt seit 1994 in Berlin und arbeitet dort als Autorin und Dramaturgin. Wenke Seemann ist erst im Jahr 2000 nach Berlin gezogen. Sie wurde 1978 in Rostock geboren und arbeitet aktuell als freie Künstlerin und Sozialwissenschaftlerin.
Allerdings muss an dieser Stelle eine kleine Warnung ausgesprochen werden: Der Titel des Buches ist etwas irreführend, denn die angekündigte Utopie – die Gründung des „idealen Staates“ – dient eher als philosophischer Aufhänger. Stattdessen bieten die drei selbstbenannten „Mogelpackungen“ allen Leser*innen einen Platz an ihrem Stammtisch, an dem gesellschaftliche und politische Herausforderungen der Vergangenheit und Gegenwart mit Schwips und Charme diskutiert werden. Das Buch ist denjenigen zu empfehlen, die Lust auf eine unterhaltsame Mischung aus kritischer Ostalgie, feministischem Gedankengut und ein bisschen politischem Wunschträumen haben.