
Von Inga Renz & Jakub Wentzin
Von Daniela Dröscher ist in diesem Herbst ein neuer Roman erschienen. Er heißt Junge Frau mit Katze und ist als Fortschreibung des 2022 erschienenen Bestsellers Lügen über meine Mutter zu lesen. Erzählt wird von der Literaturwissenschaftlerin Ela, die durch ein Potpourri aus rätselhaften Krankheitssymptomen von der Vorbereitung auf ihre Promotionsprüfung abgehalten wird. Ihr Problem: Sie arbeitet gegen die Einheit von Geist und Körper. Während es Dröschers Protagonistin gelingt, sich am Ende von ihrem alten Leben zu trennen, bleibt ihr Buch selbst nur Nachfolgeroman seines erfolgreichen Vorgängers, der die gleichen Figuren auftreten lässt, ohne dabei neue Erkenntnisse zutage zu bringen.
In den letzten fünfzehn Jahren haben jene literarischen Texte vermehrt öffentliches und wissenschaftliches Interesse auf sich gezogen, die fiktionale mit autobiographischen Erzählweisen verbinden. Diese unterschiedlichen Formen Ich-bezogenen Erzählens werden unter dem mittlerweile gängigen Begriff der Autofiktion versammelt. Verfechterinnen und Verfechter dieser noch jungen Gattungsform betonen immer wieder ihr reflexives Potenzial, sei die gezielte Vermischung von tatsächlichen Lebenserfahrungen mit fiktionalen Elementen doch dazu da, das Nachdenken über die Bedingungen der Textproduktion innerhalb des Textes zu ermöglichen. Auch Daniela Dröschers neuer Roman ist so ein Text, die Schriftstellerin bekennt sich selbst zur Autofiktion. Die Lügen über meine Mutter, bald im Kino zu sehen, wurden als ein gelungenes Beispiel dieser neuen Spielart autobiographischen Erzählens vielfach positiv besprochen. Anhand eigener Erinnerungen würden hier familiäre Verhältnisse abgebildet, die typisch seien für die westdeutsche Provinz der 1980er Jahre. Dass Dröscher ihr Erzählen unterbricht, um auf einer metadiegetischen Ebene die erwachsene Ich-Erzählerin über die Bedeutung der sozialen Herkunft für die eigene Autorschaft reflektieren zu lassen, wurde darüber hinaus als ein zentrales Verdienst dieses letzten Textes geltend gemacht.
Während in Lügen über meine Mutter noch der Körper der Mutter im Fokus stand, geht es nun um den Körper der Tochter. Die Protagonistin ist erwachsen geworden, arbeitet sich aber weiterhin an der Mutter ab: Die Geschichte ihres Körpers sei mit dem der Mutter verbunden, “seine Spuren, seine Blessuren – sie spuken in mir”, so Ela.
Zu Beginn der Handlung hat die etwa 30-jährige Ela ihre Promotionsschrift bereits eingereicht, die Verteidigung der Arbeit steht ihr noch bevor. Doch dann wird Ela krank und begibt sich für die nächsten 270 Seiten auf eine lange Odyssee aus Arzt- und Krankenhausbesuchen, die sie immer frustrierter zurücklassen, erhält sie doch auf ihre unterschiedlichen Symptome unterschiedliche, teils widersprüchliche Diagnosen. Ermüdend sind diese unzähligen Wege durch das wenig fiktionalisierte Berlin nicht nur für die Protagonistin, sondern auch für die Leserinnen und Leser, die sie auf diesen begleiten müssen. Denn dieser Roman bleibt über weite Strecken arm an Handlung, auf dramaturgische Wendungen wartet man lange vergeblich.
Dieses Vorgehen mag in der Absicht der Autorin gelegen haben, wird es doch gerade die Ereignislosigkeit sein, die den Alltag einer chronisch kranken, „ewigen Patientin“, wie es Ela als eine unter vielen ist, akkurat abbildet. Doch die sich hier anbietende Möglichkeit, den Mangel an äußerer Entwicklung durch eine innere, gedankliche Auseinandersetzung mit einem überforderten Gesundheitssystem, destruktiven Familienbeziehungen, dem Phänomen gesellschaftlich zunehmender Angsterkrankungen oder einer auf Produktivität getrimmten Leistungsgesellschaft zu kompensieren, lässt Dröscher weitestgehend ungenutzt. Die minutiöse, schnell redundant wirkende Protokollierung medizinischer Details bleibt demnach ohne erkennbaren Mehrwert.
Wenn die Hauptfigur Ela ihre Freundin Leo zu Recht für die Behauptung kritisiert, jemand könne „sich entscheiden gesund zu werden“ oder zu der Einsicht kommt, dass sich „Prekariat oder gar Armut nicht therapieren“ ließen, zeigt Dröscher kurz ihren scharfen Blick für soziale Mechanismen, der ihr letztes Buch auszeichnet, in diesem allerdings vernachlässigt und nur selten Ausgangspunkt eingehender Überlegungen wird. Irritierend ist auch der überaus hohe, inflationäre Einsatz von sogenannten Gedankenstrichen, die im Laufe der Erzählung immer mehr zu werden scheinen. Dabei ist der Mangel an gedanklicher Tiefe allerdings nicht kaschiert, sondern nur weiter exponiert, wird hier doch das Ungleichverhältnis von Gedanken und Strichen zuungunsten ersterer sichtbar – Was hätte Heinrich von Kleist wohl dazu gesagt?
Bedauerlicherweise können diese Textstellen als symptomatisch gelten für einen Text, der augenscheinlich viele kluge Ansätze birgt, keinen davon aber konsequent verfolgen möchte. So listet auch das dem Text nachgestellte Literaturverzeichnis überaus ergiebige Referenztexte – wie unter anderem die literaturgestützte Sozialanalyse Zwischen den Klassen Chantal Jaquets –, wenige kommen allerdings über ihr Fußnotendasein hinaus. Ausgenommen davon ist die japanische Schriftstellerin Yōko Tawada: Zitate aus ihrem Werk sind den jeweiligen Kapiteln vorangestellt und laden zu einer Beschäftigung mit dieser Schriftstellerin ein.
Ausladend allerdings ist die schleppende Handlung dieses Romans, dessen Protagonistin genau dann den Weg zur Besserung einschlägt, wenn es einem als Leser*in fast schon egal geworden ist. Mit der Entscheidung, Verantwortung für ihr Wohlergehen zu übernehmen und Frieden mit ihrem Körper zu schließen, beginnt für Ela ein neuer Lebensabschnitt. Bebildert wird dies durch die eindrückliche, spirituell anmutende Badeszene, in der der Bogen zurück zum Beginn der Erzählung geschlagen wird: Mutter und Tochter zeigen die lang versteckten Körper nun offen und finden, frei im Wasser schwebend, so etwas wie Versöhnung.
Wem das genügt, dem sei Daniela Dröschers neuer Band zur Lektüre empfohlen.
Daniela Dröscher, Junge Frau mit Katze, 2025, Kiepenheuer und Witsch Verlag, 320 Seiten, 24, 00 EUR