Rezension zu Ales Štegers Roman Archiv der toten Seelen
Von Laura Volk
Na zdrávje und Helau heißt es in Ales Štegers Roman Archiv der toten Seelen, dessen Handlung im Rahmen des Programms zur Kulturhauptstadt 2012 in der slowenischen Stadt Maribor angesiedelt ist. Die beiden Protagonisten der Erzählung, der asketische Ex-Scientologe Adam Bely und die cyborgartige Rosa Portero, halten sich zur Karnevalswoche in diesem verkleideten kulturellen Zentrum auf. Hier wollen sie, wie sie angeben, Interviews für eine ORF-Reportage über die Kulturhauptstadt 2012 mit Verantwortlichen führen. Bei den journalistischen Absichten handelt es sich selbstverständlich nur um Maskerade. Tatsächlich haben sich die Protagonisten dem Ziel verschrieben, den geheimen Machthaber der Stadt Maribor, den sogenannten „Großen Ork“ aufzuspüren und zu vernichten. Dieser „große Ork“ kontrolliert die Vorgänge innerhalb Maribors unter der Oberfläche und lähmt die Mariborer Gesellschaft auf die verschiedensten Weisen. Die kostümierte Stadt und ihr karnevalesker Kultur- und Politikbetrieb lassen in dieser sonderbaren Woche, in der jegliche Grenzüberschreitungen erlaubt scheinen, nach und nach die Hüllen fallen.
Šteger bettet seine Erzählung innerhalb eines dystopischen, postmodernen Gesellschaftsentwurfes ein, der vielfach von absurden Elementen durchzogen ist. So begegnet dem Leser ein stadtbekannter Anwalt mit einer zwitschernden Sau als an der Leine ausgeführtem Haustier, und als Kampfmittel der Wahl des Protagonisten Bely erweisen sich von ihm bereits einmal durchverdaute Backerbsen, die den Bösewichten die „Vergebung“ aufzwingen. Die absurden Elemente fügen sich bruchlos in die temporeiche Gesamthandlung der Erzählung ein, was neben den präzise gesetzten Leerstellen eine ihrer Stärken ausmacht: Wir verstehen stets nur so viel, dass wir unbedingt mehr von dem närrischen Treiben rund um die beiden Hauptfiguren erfahren wollen. Die zahlreichen Absurditäten und Überspitzungen beinhalten eine deutliche Kritik am Kulturbetrieb. Überzeugend ist hier, dass Šteger sich, neben den zahlreichen weiteren Realitätsbezügen, durch das Einschreiben seiner eigenen Person als Figur von der formulierten Kritik nicht ausnimmt.
Die gute Lesbarkeit des Romans, der spannende Handlungsaufbau und die ironische Grundhaltung unterstützen die Tatsache, die dargestellten Entitäten lediglich als Paradox begreifen zu können. Die Erzählung verweigert sich eindeutigen Einordnungen: Einfache Unterscheidungen zwischen Gut und Böse, falsch und richtig, Zufall oder Planung oder aber auch irdisch oder nicht sind innerhalb der Erzählung nicht länger möglich. Stattdessen findet der Leser die kluge Beschreibung einer diffusen Gesellschaft vor, in der er sich an unzähligen Stellen wiederzufinden vermag, ohne eine klare Bewertungsrichtung vorgegeben zu bekommen.
Angelehnt an die durchverdauten Backerbsen, stellt sich die Frage: Gibt es Vergebung? Was ist Erkenntnis? Oder ist vielleicht doch alles am Ende nur ein Haufen Exkrement? Denn „Wirklich ist einzig und allein Maribor“.
Aleš Šteger: Archiv der toten Seelen, Schöffling & Co., 2016, 226 Seiten, 22,95€.