Integrationsbambi für Rüdiger Kühn!

Von Felix Krause.

globale°-Samstag heißt: Jetzt ist es an der Zeit, sich zu entscheiden. Jetzt, wo das Programm voll gepackt ist mit Lesungen und Gesprächen, die sich überschneiden. Aber am Samstagnachmittag sieht es ja eigentlich eindeutig aus. Stanislaw Strausburger mit dem Geschichtenhändler UND Alexis Jenni mit der französischen Kunst des Krieges oder halt die Feuerbringer – eine Schlager-Operette. Also zwei großartige Autoren live zu sehen und lesen zu hören oder ein Hörspiel vom Band, das ja quasi nach Trash schreit. Dann habe ich aber gegooglet und einen YouTube Link angeklickt und die Sache war klar.

Der Drop und die Hook…

Im Brauhauskeller sitzen vielleicht 20 Menschen und warten. Wie läuft so eine Hörspielvorführung eigentlich so ab? Wo schaut man da eigentlich so hin? Nach der kurzen Einführung (Der Zeitplan ist straff, wie gesagt) werden solche Fragen umgehend obsolet. Da werden uns Worte und Eindrücke um die Ohren geworfen. Wir hören „Chickenburger“, „Indianer“, „Feuer“ und plötzlich der Drop in der Musik und die Hook:

Wir, wir sind die Feuerbringer.

Wir, bringen das Feuer hierher.“

Und dann setzt das Grinsen ein, das ich bis Sonntag früh nicht mehr loswerde.

Was ist das denn?

Die Handlung ist schnell erklärt: Ein deutscher Schlager Star, Rüdiger Kühn, baut betrunken einen Autounfall und wird daraufhin zu Sozialstunden verdonnert. Seine Aufgabe: Eine Schlagerband, bestehend aus Geflüchteten und Migranten, anleiten: die Feuerbringer. Integration heute:

Das ist der Sinn der Sache! Ein Gemeinschaftsgefühl zu schaffen durch deutsche Musik. Und wenn ihr Schlagermusik kennenlernt, sie zu singen und zu lieben, dann werdet ihr Teil der Gemeinschaft sein. (Schlager Star Rüdiger Kühn)

Allein schon die Vorstellung eines solchen Projekts ist absurd. Bisher gab es ja eigentlich nur Politiker, die Schlager für Geflüchtete singen. In die Feuerbringer ist diese Zusammensetzung aber Nährboden für etwas Großes. Eine gefühlte Dreiviertelstunde kommt trashige Schlagermusik, dann auch mal R’n’B Musik, und einmal Hip Hop Musik. Dazu ein nahezu abstruses Setting. Und dann wird es richtig deep. Dann wird aus den Späßchen, den die Feuerbringer machen ein kluges Infragestellen davon, was kulturelle Identität ist. Rüdiger Kühn ist in der Hinsicht ein bisschen, joa, konservativ, könnte man sagen. Auf die Frage, ob der Schlager nicht „universal“ sei, sagt er:

Schlager ist eine besondere Art deutscher Musik, weil es „einsam“ und „gemeinsam“ auf deutsch ausdrückt und reimt. (Kulturfunktionär Rüdiger Kühn)

Gleichzeitig werden gängige Sprachkonventionen auf lustigste Art und Weise auseinandergenommen. Wenn sich bei Farrell weinen auf weinen (einmal „weinen“ im Sinne von „weinen“ und einmal im Sinne von „Wein trinken) und bei Leib „Schlager“ auf „Konzentrationslager“ reimt. Wenn bei Sandra das deutsche Wort, zu dem sie einen „besonders emotionalen Bezug“ hat, „Posttraumatische Belastungsstörung“ ist (Beverley: „Was? Prost… Wie bei Bier?“). Durch die Naivität der Unwissenheit stürzt eine germano-zentrische Weltsicht zusammen. Und das Lachen bleibt einem im Hals stecken.

Autor Tomer Gardi ist hier wirklich ein sehr intensives, kluges Hörspiel gelungen. Perfekt produziert vom Team um Regisseurin Susanne Krings (William Cohen spricht Rüdiger Kühn!). Komplexe Materie im Trashgewand. Tiefe im Pipi-Kacka-Witz. So denke ich und sitze im Brauhauskeller. Die anderen sind alle schon gegangen. Vielleicht hatten die nicht so viel Spaß wie ich.

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