Leben, Grenzen überschreiten und Gedichte

Foto: privat

Grenzüberschreitend ist, auf einer Zeitachse in die Vergangenheit zurückzuschauen. Grenzüberschreitend ist es auch, wenn man einen kulturellen Transfer leistet. Beides vereint Lisel Mueller in ihren Gedichten. 1939 ist sie mit ihrer Familie aus Nazi-Deutschland in die USA geflohen, mit gerade mal 15 Jahren. 1953 beginnt Lisel Mueller durch den frühen Tod ihrer Mutter Gedichte zu schreiben. Heute gehört sie zu den bedeutendsten amerikanischen Dichter*innen der Gegenwart.

Von Sarah Luisa Ostermann

Wenn man den Saal im Brauhaus betritt, fällt als erstes das Bild von Lisel Mueller mittig auf der Bühne auf. Sie ist mittleren Alters, sitzt auf einer Wiese und schaut verträumt in die Ferne. Genauso, wie man sich eine Dichterin vorstellt. Heute ist sie 95 Jahre alt und lebt in Chicago. Die Hommage an ihr Lebenswerk wird von Benno Schirrmeister und Helga Grubitzsch geleitet, die Gedichte werden von der Schauspielerin Lisa Jut vorgelesen. Kurz wird von Lisel Muellers Leben erzählt. Lisel Mueller ist am 8. Februar 1924 als Elisabeth Neumann geboren worden. Ihr Vater hat sich nicht mit den Nazis identifiziert. Resultat: Ein gesuchter Staatsfeind und die Flucht aus Deutschland in die USA. Es wird weiter von ihrem Leben erzählt. Wie ihre Familie als Staatsfeind in Nazi-Deutschland „die Last des Geheimen“ lernte. Wie sie zusammen mit ihrer Schwester und ihrer Mutter, ihrem bereits geflohenen Vater in die USA folgte. Wie in der neuen Sprache alle zu schnell redeten. Dann ihre Heirat 1943 – sie beschreibt diese als unverdientes Glück. Der Tod ihrer Mutter. Dichterin wurde sie, weil sie es von da an als unermessliches Bedürfnis empfand, ihre Gefühle in ein Gedicht zu packen. Sie beginnt mit der praktischen Ausbildung zur Dichterin, indem sie jegliche Gedichtbände liest. 1965 erscheint ihr erster Gedichtband „Dependencies“. Danach erzählt Helga Grubitzsch wie es ist als Übersetzerin zu arbeiten. Den Vorgang ein Gedicht zu schreiben, beschreibt sie als geheimnisvoll und furchterregend. Sie nennt es Stalking the Poem, wenn man oft tagelang nach dem richtigen Wort sucht, bis man es dann endlich findet. Zwischendurch werden immer wieder Gedichte von Lisel Mueller vorgetragen. Wunderschön. Ein Einschnitt kommt, bei welchem die Autorin selber spricht. Die Lesung wurde 1981 aufgezeichnet. Danach singt die Sopranistin Ulrike Meyer eindrucksvoll zu Lisel Muellers Gedichten, die Pianistin Alice Meregaglia spielt auf dem Klavier. So verschwindet man ganz in der Welt der Gedichte von Lisel Mueller. Am Schluss der Lesung laufe ich zu dem Buchstand, um mir einen Gedichtband zu kaufen. Zum Glück sind ihre Bücher schon alle gekauft worden. Ein anderes Mal. Die Gedichte waren wirklich wunderschön.  

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