Lyrik zwischen Film und Digitalisierung.

Katharina Zorns und Jasna Fritzi Bauers Heute schreibe ich Geschdichte

von Anna Brandewiede und Urania Milevski

Jasna Fritzi Bauer und Katharina Zorn © privat

Als Corona um sich greift, die Straßen immer leerer und stiller werden, werden auch die Distanzen zwischen den Menschen größer. Wie kann man noch ins Gespräch kommen, wenn man sich nicht trifft, wie Emotionen ausdrücken, wenn man sich nicht spricht? Für Katharina Zorn und Jasna Fritzi Bauer ist Lyrik die Antwort, die in Form von Plakaten, Bannern und Projektionen in den sozialen Nahraum der Menschen einzieht, die sich physisch nicht mehr nahekommen dürfen.

Beide Künstlerinnen sind selbst schreibend tätig geworden, Es war einmal ein weißer Mann beispielsweise stammt von Katharina Zorn und Wir konnten uns nie treffen hat Jasna Fritzi Bauer verfasst. Doch überwiegend stammen die Texte von Dritten, zuerst von Freund:innen und Bekannten, dann erweiterte sich der Kreis zunehmend durch Beiträge von Fremden. Jedes Plakat, jedes Banner birgt über QR-Code die Möglichkeit zur Beteiligung und auch über digitale Kanäle wie Instagram ruft das Künstlerinnenduo auf, eigene Texte einzusenden.

Als Zorn und Bauer im Sommer 2022 nach Bremen kommen, um für die Weserburg eine ganze Ausstellung zu gestalten, ist ihr Projekt Heute schreibe ich Geschdichte schon zwei Jahre alt. Sie haben in Frankfurt am Main Häuser illuminiert und am Berliner Hauptbahnhof einen Cubus installiert, der einen eigens gedrehten Lyrikfilm zum interaktiven Erlebnis macht. In beiden Städten sind sie zudem durch Plakataktionen an die Öffentlichkeit getreten. In der Konzeption der Bremer Ausstellung wurden nun Gedichte von Bürger:innen der Stadt Gegenstand unterschiedlicher Exponate. Eins davon, die Welle, ordnet die Texte nach emotionalem Ausdruck und orchestriert sie haptisch nach der Intensität der Gefühle. Ein anderes stellt auf Knopfdruck Aufkleber her, sodass die Bremische Lyrik in der ganzen Stadt verteilt werden kann.

Derweil fragen Sabine Doff und Uwe Spörl an der Universität Bremen im Rahmen des Projekts Gedichtalternativen für Deutschland nach Lyrik, die einen Beitrag zur zeitgemäßen kulturellen Bildung, zur Werteorientierung, zur ästhetischen Wahrnehmung und damit zur Stärkung des gesellschaftlichen Zusammenhalts leisten kann – und vielleicht (noch) nicht in den Lehrplänen der Schulen verankert ist. In diesem Zusammenhang steht auch das von Urania Milevski geleitete Seminar Lyrikalternativen – alternative Lyrik?, das sich vor allem mit intermedialer Lyrik beschäftigt. Ziel des Seminars ist, Gedichtanalyse, -interpretation und -präsentation kreativ zusammenzudenken. Wer könnte dabei bessere Einblicke geben als die Künstlerinnen Zorn und Bauer alias HSI? Und das tun sie: Am 15.12.2022 halten die beiden einen Vortrag, der die Genese ihres Projekts beleuchtet. Auch die Ausstellung in der Weserburg ist dabei Thema.

Das Projekt Gedichtalternativen für Deutschland sucht den Schnittpunkt zwischen Wissenschaft, Poesie und Öffentlichkeit. Im Vortrag der Initiatorinnen von HSI ist dieser offensichtlich geworden. Die Künstlerinnen luden zu Begegnungen ein und warfen Fragen auf: Wie erreicht Lyrik die Öffentlichkeit? Wie kann die Öffentlichkeit an Lyrik mitwirken? Entsteht dann alternative Lyrik? Und nicht zuletzt: Kann Lyrik politisch sein? Mögliche Antworten wurden im Anschluss an den Auftritt von HSI diskutiert, der sich so sinnvoll in das Groß-Projekt der Gedichtalternativen für Deutschland einfügte – und neugierig machte auf alles Kommende.

Anna Brandewiede studiert Germanistik und Philosophie im Bachelor an der Universität Bremen. Insbesondere interessiert sie sich für den Bereich der Literaturwissenschaft und dort wiederum für Theorien und Praktiken der Inter- und Transkulturellen Literatur. 

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