
von Neele von Döhren
Wenn ich diesen Roman in einem Wort beschreiben müsste, wäre es wohl „weird“. Dürfte ich noch ein zweites hinzufügen, wäre es „random“. Als drittes Wort würde ich noch „viel“ ergänzen, denn aller guten Dinge sind drei. Vielleicht kann ich erklären, warum.
Die Ausgangssituation von Leona Efunas Debütroman eXtRaVaGant. Mond oder Sonne – übrigens der erste Teil einer geplanten Jugendserie – in aller Kürze: Paige und Robyn sind seit sie denken können beste Freundinnen, Mond und Sonne. Sie teilen ihr gesamtes Leben, machen gemeinsam Musik. Doch seitdem Robyn nach einem Autounfall im Koma liegt, muss Paige mit ihrem Leben ganz alleine klarkommen. Und das fällt ihr nicht leicht, denn „ohne Sonne kann ein Mond nicht leuchten“. In der Hoffnung, dass es ihr mit Abstand besser geht, schickt ihre Mutter sie zu ihrem Vater. Sie soll bei ihm, seiner neuen Frau und dessen Sohn Damian wohnen. Damian, Mitglied der gerade durch die Decke gehenden Boyband eXtRaVaGant, macht Paige auch mit den anderen Bandmitgliedern bekannt und für sie beginnt ein Jahr voller Überraschungen und – das ist zentral – aufzudeckender Geheimnisse.
Der Text selbst besteht aus vielen sehr kurzen Absätzen, jeder einzelne eine Momentaufnahme, formuliert aus Paiges Perspektive. In die Geschichte reinzukommen, fällt am Anfang schwer. Jeder Absatz unterbricht den Lesefluss und ist verbunden mit einem kleinen oder größeren Zeitsprung, die Handlung nie ganz auserzählt. Das ergibt in Bezug auf all die Wirrungen und Geheimnisse durchaus Sinn – ich hätte mir trotzdem mehr Details und ein längeres Auserzählen einzelner Situationen gewünscht. Verschnitten werden dann von Paige verfasste Briefen an Robyn, die häufig in der Vergangenheit liegende Geschehnisse kompakt zusammenfassen. Später gibt es noch Briefe anderer Verfasser*innen. Dazu kommen Songtexte, die als Kommentar oder Ausdruck der Gefühlswelt der Figuren zu lesen sind. (Drei davon hat Leona Efuna übrigens bereits als Songs veröffentlich, der Rest soll folgen.) Außerdem – die für mich spannendsten Einmischungen – in Du-Perspektive verfasste Träume und Erinnerungen sowie Aussagen von Paiges innerer Stimme. Von dieser hätte ich mir mehr gewünscht, denn „toxische Menschen und ihre Bemerkungen sind nichts gegen die eigenen Gedanken von Menschen, die sich selbst am meisten hassen.“ Ganz am Ende gibt es auch noch eine Playlist, die, markiert durch kleine Noten auf den Seiten, direkt beim Lesen passend zum Text abgespielt werden kann und somit den Soundtrack direkt mitliefert. Ich habe es ja oben schon erwähnt – es ist viel.
Die Handlung spielt in Amerika, Paige zieht von Boston nach New York, später nach Chicago. Das ist der erste Punkt, der für mich nicht wirklich Sinn ergibt. Auf die Orte wird so gut wie gar nicht eingegangen, die Handlung könnte überall spielen und doch werden sie immer wieder genannt. Mich hat es beim Lesen eher rausgebracht, ich habe mich immer wieder gefragt, warum es gerade dort spielt und nicht beispielsweise einfach in Deutschland. Das hätte nach meinem Gefühl insgesamt einfach besser gepasst.
Das ist aber bei Weitem nicht die einzige Frage, die ich mir im Verlauf der Handlung gestellt habe, denn ab einem gewissen Punkt reihen sich Merkwürdigkeiten aneinander, die sich weder in der Logik des alltäglichen Lebens nachvollziehen lassen, noch eröffnet der Roman eine Welt mit einer anderen, neuen Logik. Ich frage mich unter anderem immer noch
- Warum darf eine 16-jährige alleine mit einer 7-jährigen wohnen, mit der sie nicht einmal eine verwandtschaftliche Beziehung pflegt?
- Warum benimmt sich dieses Kind wie eine Erwachsene?
- Und wo hat es die verdammte Pistole her?
- Warum kann man nach über 8 Monaten im Koma von einem auf den anderen Tag weitermachen wie zuvor?
- Was macht das russische organisierte Verbrechen in der Storyline?
- Und warum zur Hölle taucht plötzlich Ivan Pavlov auf? (der Name kann kein Zufall sein und ja, das ist der mit dem Hund und der Konditionierung…)
Ich bin nicht warm geworden mit den Figuren, konnte viele ihrer Reaktionen nicht nachvollziehen, dadurch keine Beziehung zu ihnen aufbauen. So viele Momente sind einfach weird, erscheinen unglaublich random. Immer wieder habe ich einfach nur auf den Text gestarrt und mich gefragt, was um alles in der Welt da jetzt gerade passiert. Und dann gibt es auch noch eine Wir-verpassen-uns-immer-wieder-knapp-Liebesgeschichte… Und als wäre das alles noch nicht genug, verhandelt das Buch wirklich ernste Themen: Mobbing, Essstörung, Alkoholmissbrauch, selbstverletzendes Verhalten, emotionale Abhängigkeit – um nur einige zu nennen. Auch hier – es ist verdammt viel. (Und es ist definitiv keine leichte Lektüre und ich finde die Altersempfehlung ab 14 Jahre etwas niedrig angesetzt…)
Beim Lesen brüllte es in meinem Kopf immer und immer wieder laut „Hä?“. Und trotzdem habe ich immer weiter gelesen, hat mich das Buch dann doch irgendwann mitgenommen und es zu Ende lesen lassen. Ab der Hälfte auch fast in einem Rutsch. Ich habe irgendwann versucht, die Logik auszuschalten, mich darauf einzulassen, wie auf einen merkwürdigen Kurzfilm, der einen nach 20 Minuten mit nichts als großen Fragezeichen zurücklässt. (Ich habe wirklich lange nach einem passenden Vergleich, einem passenden Genre, gesucht. Und Kurzfilm erschien mir am passendsten, ich nehme aber gerne weitere Vorschläge entgegen…) Vielleicht habe ich auch in der Hoffnung, Antworten auf meine Fragen zu erhalten, weitergelesen. Vielleicht weil ich es wirklich verstehen wollte, was hinter all den Merkwürdigkeiten steckt. Antworten gab es keine, aber Leona Efuna schreibt bereits an Band 5 und 6 der Reihe. Band 2 bis 4 könnten also bald erscheinen. Vielleicht bringen diese dann ja Antworten. Vielleicht würde dann alles Sinn ergeben. Und vielleicht würde ich sie sogar lesen, denn wenn ich ehrlich bin, will die Antworten schon noch wissen.
Leona Efuna, eXtRaVaGant. Mond oder Sonne, 2021, 360 Grad Verlag, 470 Seiten, 17€