Bremer Literaturpreis 2024

Foto: privat

Von Carla Bühl

Das Schöne an Literaturpreisverleihungen ist, dass sie bereichernder sind, als andere feierlichen Anlässe dieser Art, die der Form aus Ansprachen, Laudationen, Dankesreden und Fotos mit Blumenstrauß folgen. Wenn ich an den Bremer Literaturpreis denke, dann kommt mir beispielsweise die Dankesrede Paul Celans in den Sinn, der 1958 als Preisträger vor den Zuschauer*innen stand und feststellte, dass die Sprache, seine Sprache, durch ihre eigenen Antwortlosigkeiten hindurchgehen müsse, aber am Ende trotz allem unverloren bleibe. Sie gibt Orientierung in der Welt. Und weil die Sprache das Handwerk der Preisträger*innen ist, sind ihre Dankesreden häufig genau so eindringlich wie ihre Texte selbst. 

Am 22. Januar 2024 wurde in der Oberen Rathaushalle der Bremer Literaturpreis an Theresa Präauer für ihr Buch Kochen im falschen Jahrhundert und der Förderpreis des Bremer Literaturpreises an Katharina Mevissen für Mutters Stimmbruch verliehen. Bereits am Vorabend der Preisverleihung hatten die Autorinnen in der Glocke aus ihren Texten gelesen, die nun im Mittelpunkt der Veranstaltung standen. Nach der Ansprache und den Dankesworten von Andreas Bovenschulte, der nicht nur als Bürgermeister, sondern auch in seiner Funktion als Kultursenator auftrat, und musikalischer Rahmung durch jazzahead!, verriet die Literaturwissenschaftlerin und Jurorin Daniela Strigl in ihrer Laudatio auf Theresa Präauer das Rezept für ein so herausragendes Buch wie Kochen im falschen Jahrhundert, das bereits für den Deutschen Buchpreis 2023 nominiert war. Man nehme dafür: ein Pfund Kunstverstand, zehn Dekagramm Spielfreude, ein gerüttelt Maß Ironie, eine Messerspitze Scharfsinn und eine Prise Bosheit – ihre kreative Analyse des Buches machte neugierig, sowohl auf den Text, als auch auf die Rede der Preisträgerin, die nach Urkunde, Blumenstrauß und Foto an das Rednerpult trat.

Theresa Präauers Großvater hat einen Apfel anders gegessen, als sie selbst. Sie nimmt den Apfel im Stehen oder im Gehen in die Hand und beißt hinein, während ihr Großvater sich für das Verspeisen eines Apfels an den Esstisch gesetzt und es zu einer Zeremonie gemacht hat. Und zusätzlich, hat ihr Großvater ihr verraten, sei die Literatur der Ort, an dem etwas möglich ist, was im wirklichen Leben verboten scheint: Äpfel mit Birnen zu vergleichen. Mit dieser Metapher legte Theresa Präauer in ihrer Rede den Kern ihres Schreibens frei und schuf in Form und Sprache in diesen zehn Minuten einen neuen, sehr persönlichen Text, dem das Publikum aufmerksam lauschte und einmal mehr feststellte, dass hier eine Autorin steht, die den mit 25.000 Euro dotierten Preis mehr als verdient hat.

Das Jurymitglied Richard Kämmerlings von der Zeitung Die Welt hielt anschließend die Laudatio auf Katharina Mevissen und ihren Text Mutters Stimmbruch. Dabei fächerte er den Inhalt  des Textes mit dessen Eigensinn, Tiefgang und Humor auf – sofern das in wenigen Minuten überhaupt möglich ist. Für Richard Kämmerlings und den Rest der Jury hat jeder Satz in diesem Buch, der von Mutters Selbstermächtigung erzählt, Gewicht. Und genauso verhielt es sich mit der Dankesrede der Förderpreisträgerin: Katharina Mevissen zeichnet ihre Bewegung bei der Entgegennahme des Förderpreises mit dem Bild der Mutter nach, die im Schwimmbad auf das Dreimeterbrett klettert und nicht springt, sondern zu singen beginnt. Sie klettert die Leiter zum Rednerpult hinauf und spürt dabei die Erwartungen des Publikums an eine Rede, die einem poetologischen Kopfsprung gleichkommen soll, während sie doch lieber die Wirkung einer spontanen Ballade nutzen würde. 

Katharina Mevissen tat mit der formalen Struktur ihrer Rede als auch mit deren Inhalt genau das: Das Bild der Autorin auf dem Dreimeterbrett-Rednerpult entwickelt sich zur Kritik daran, dass man als Autorin einen Körper hat, der einen Badeanzug trägt -– dass man als schreibende Frau überhaupt einen Körper hat, den man nicht los werden und allenfalls Mütterliteratur, Frauenliteratur, Literatur für und von Frauen produzieren kann. Ihre Auswertung der Preisträger*innenliste zeigt auch, dass seit 1954 die Hauptpreise zu 80 Prozent an Männer und zu 20 Prozent an Frauen gingen, die Förderpreise zu 60 Prozent an Männer und zu 40 Prozent an Frauen. Die 20 Prozent mehr bei den Förderpreisen erklärt sie mit der Tatsache, die das Publikum mit Applaus bestätigt: Dass Frauen nach wie vor stärker gefördert werden müssen.

Nach knapp zwei Stunden war alles gesagt, fotografiert und vergeben, die Preisträgerinnen wurden mit einem Schlussapplaus beglückwünscht. Als ich aus dem Rathausgebäude in den Nieselregen trat, dachte ich, dass eine Veranstaltung, die sonst reine Formsache wäre, vor allem deshalb lebendig wird, weil den Preisträger*innen genügend Raum gegeben wird, das zu tun, was sie am besten können: Mit Sprache arbeiten.

Kochen im falschen Jahrhundert, Theresa Präauer, 2023, Wagenbach, 198 Seiten, 22,00 Euro. 

Mutters Stimmbruch, Katharina Mevissen, 2023, Wagenbach, 112 Seiten, 22,00 Euro.

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