Familien- und Zeitgeschichte in einem – Felix Lees „China, mein Vater und ich“

© privat

von Tobias Schiefer

Ein windiger Mittwochabend, der 24.01.2024, wehte um 18.00 viele interessierte Gesichter in den Wall-Saal der Bremer Stadtbibliothek. Im Gegensatz zu den Erwartungen des Moderators Jens Laloire war der Raum mehr als gefüllt, was sich später noch an der Luftqualität bemerkbar machen würde. Das blaue Stimmungslicht der Literarischen Woche konnte durch seinen kühlen Charakter auch nicht gegen die entstehende Hitze ankommen. Das doch recht gesetzte Publikum saß voller frischer Begeisterung für die bevorstehende Lesung bereit. Katja Bischoff eröffnete den Abend mit dankenden Worten und leitet über zum Moderator Jens Laloire sowie seinem pünktlich erschienenen Gast Felix Lee, der aufgrund des Bahnstreiks mit dem Auto umständlich anreisen musste. Er nahm einen VW, versicherte er. Alles andere wäre auch Verrat an seiner Familie gewesen, witzelten er und Laloire auf der Bühne. Verhaltendes Lachen aus dem Publikum bildete die hauptsächliche Resonanz für diesen Abend.

China, mein Vater und ich vermittelt Eindrücke der Geschichte Chinas des 20. Jh. eingebettet in eine emotional-menschliche Perspektive einer Familie chinesischer Einwanderer*innen in Deutschland. So wirkte der Inhalt des Buches in dieser Abendveranstaltung. Felix Lee versuchte einerseits interessante Einblicke jenseits ideologischer Paradoxien und Dichotomien Chinas aufzuzeigen und andererseits den Werdegang seines Vaters nachzuzeichnen, der durch Zufall an prägenden Entscheidungen des Volkswagenkonzerns teilhatte. Als jahrelanger Chinakorrespondent und Journalist gestaltete Lee seine Präsentation nicht nur als reine Biografie seines Vaters, sondern webte viele geopolitische und geschichtliche Facetten mit hinein.

Die großen politischen, wirtschaftlichen und geschichtlichen Themen schienen das Publikum vor Ort nicht abzuschrecken, das wie gebannt Lees Antworten, Erzählungen und Leseausschnitten folgte. Glücklicherweise musste Lee dazu nicht seine Familiengeschichte groß ausführen, um dem Publikum Inhalte des Buches deutlich zu machen. Seine Denkweisen und Antworten im Interview offenbarten dies von allein. Was nicht ohne die geplante und souveräne Gesprächsführung von Laloire möglich gewesen wäre. Fragen und Antworten leiteten in Textstellen über und andersherum, wodurch eine flüssige Lesung und Gespräch den Abend zeichnete. Auch wenn die Antworten Lees lang ausfielen und dadurch etwa eine halbe Stunde mehr benötigt wurde als geplant, machte dies dem Publikum nichts aus, das sich ‚lautstark‘ für eine letzte Textstelle äußerte, denn sie hatten ja noch Zeit.

Durchweg konnte der Veranstaltung mühelos gefolgt werden, ohne dass es zäh wurde aufgrund der langen Antworten Felix Lees, denn sie waren immer sehr gehaltvoll. Die Strukturierung der Moderation sowie die Person Lees trugen maßgeblich dazu bei, das Interesse zu halten. Da machten die halbe Stunde Überzug und die dünne Luft auch keine Probleme.

24.01.2024, Zentralbibliothek, Wall-Saal, »China, mein Vater und ich. Über den Aufstieg einer Supermacht und was Familie Lee aus Wolfsburg damit zu tun hatte« im Rahmen der Literarischen Woche Bremen.

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