“Wir sind traurig. Wir haben keinen Fährmann mehr.”, so beginnt Saša Stanišić seinen neuen Roman Vor dem Fest. Ein brillantes Werk, das mit der deutschen Sprache spielt und diese ganz neu auslegt.
Von Valentina Ann-Katrin Meyer
Der Autor ist 1978 in Bosnien/Herzegowina geboren und flüchtete 1992 nach der Besetzung seiner Heimatstadt Višegrads nach Deutschland. In Heidelberg studierte er Deutsch als Fremdsprache und Slawistik. Sein Debütroman Wie der Soldat das Grammofon repariert erschien 2006 und nun folgt der zweite Roman Vor dem Fest, der im Frühjahr mit dem Preis der Leipziger Buchmesse ausgezeichnet wurde.
Zunächst trauert das fiktive uckermärkische Dorf Fürstenfelde um seinen verstorbenen Fährmann. Jeder im Dorf kennt ihn und jeder hat eine eigene Geschichte über ihn zu erzählen. Dieser traurige Anfang wirkt sich aber nicht auf die Stimmung im Roman aus. Hier geht es vor allem um die Vorfreude auf das Annenfest, welches mit Hilfe des gesamten Dorfes vorbereitet wird. Nach und nach erfährt der Leser immer mehr über die im Dorf lebenden Personen. Das erzählende “Wir” setzt sich aus einer bunten Menge an Menschen zusammen: Frau Schwermuth, die das Haus der Heimat leitet; Herr Schramm, der eigentlich nicht mehr leben möchte und auf der ständigen Suche nach Zigaretten ist; Anna, das junge Mädchen mit dem Wunsch, in Rostock zu studieren; Frau Kranz, die Malerin und viele andere spannende Charaktere. Anfangs wird den Figuren im Roman immer ein eigenes Kapitel gewidmet, später führt Saša Stanišić einzelne Personen zusammen und gibt ihnen eine gemeinsame Erzählung. Zudem sind viele Geschichten in dieser Rahmenhandlung zu finden, die von früheren Jahrhunderten in Fürstenfelde erzählen.
Saša Stanišić spielt in seinem zweiten Roman mit der deutschen Sprache. Er verändert die Schreibweise einzelner Wörter und mischt einen scheinbar altdeutschen Schreibstil mit neuer fiktiver Sprachvariation auf. Durch seinen migrantischen Hintergrund und sein Studium entwickelt Saša Stanišić in diesem Roman eine ganz neue Art zu schreiben. Diese verleiht dem Buch einen gewissen Pep, fesselt den Leser und fordert ihn zugleich – das Lesen wird so nie langweilig. Die vielen einzelnen Geschichten von Charakteren, Schicksalen, Sorgen um die Zukunft sowie die auch das Dorfleben beeinflussende Globalisierung fügen sich zu einem lebendigen Bild des uckermärkischen Fürstenfeldes zusammen. Im Dorf geht es nicht hektisch zu, wie in einer Großstadt, nein, dort ist es gesellig und manchmal dauert alles etwas länger. Genau das drückt Saša Stanišić auch in seinem Schreibstil aus, oftmals dehnt der Roman die Zeit, indem er sich Zeit nimmt. Durch all diese Einzelheiten bekommt der Leser einen detaillierten Einblick in das Leben auf dem Dorf, einen kleinen Eindruck von dem schwierigen Begriff der Heimat, aber auch eine Vorstellung von der Geselligkeit, von Mythen und Geschichten und von der Zusammenarbeit der Fürstenfelder.
Saša Stanišić, Vor dem Fest, Luchterhand Verlag, 2014, 315 Seiten, Preis der Leipziger Buchmesse in der Sparte Belletristik 2014
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