Jaroslav Rudiš: Vom Ende des Punks in Helsinki

„Das ist Punk!“ Jaroslav Rudiš vierter Roman „Vom Ende des Punks in Helsinki“ zeigt auf, wie schwierig es sein kann, sich nach dem Leben als Punk in der Gesellschaft zurechtzufinden – besonders wenn einen die Vergangenheit immer noch verfolgt.

Von Kristin Krause

Der Mitvierziger und Altpunker Ole, Besitzer der Kneipe Helsinki, lebt seit dem Ende seiner Punkband Automat, die er gemeinsam mit seinem Jugendfreund Frank gegründet hat, visionslos in den Tag hinein und vegetiert merklich vor sich hin. Hinzu kommen seine schmerzlichen Erinnerungen an die junge Punkerin Nancy, die er als Jugendlicher auf dem ersten Ostblock-Konzert der  „Toten Hosen“ in Pilsen trifft und die beim gemeinsamen Versuch, in den Westen zu fliehen, erschossen wird. Nachdem seine Kneipe „Helsinki“ auf Grund von Baufälligkeit vom Stadtamt geschlossen wird, verliert sich Ole zunehmend in diesen Erinnerungen und wird regelrecht von ihnen verfolgt. Er erkennt, dass seine einzige Möglichkeit, mit diesen Erinnerungen abzuschließen darin liegt, an den Ort des Geschehens zurückzukehren und so macht er sich auf die Reise nach Tschechien, die gleichzeitig eine Reise in seine Vergangenheit ist.

Rudiš nimmt den Leser auf melancholische und ironische Weise auf diese Reise mit. Dabei fängt er immer wieder beispielhaft die Stimmung der damaligen Zeit ein, allem voran durch sein rotziges Punkmädchen Nancy und ihr Tagebuch „Tal der Hohlköpfe“ und bringt dem Leser so ein Stück Punkrock in die eigenen vier Wände. Nancy steht dabei beispielhaft für Rudiš Figuren, die sich durch ihre starken und auffälligen Charakterzüge auszeichnen. Dies zeigt sich nicht nur durch ihr punkiges Erscheinungsbild, ausstaffiert mit Lederjacke, Nieten und Sicherheitsnadeln, sondern vor allem durch ihre Sprache. Nancy spricht und schreibt, wie es ihr gerade in den Sinn kommt, Schimpfwörter und Fäkalsprache stehen dabei auf der Tagesordnung. Gerade dieser flapsige Jugendstil macht den Roman so lesenswert und steht im starken Kontrast zu Ole, dessen Leben im Vergleich umso trister und auswegloser wirkt. Die Aggressivität und Ironie, mit der Rudiš ihn sprechen lässt, bestärkt sein tragisches Vor-sich-hin-vegetieren nur noch mehr. Rudiš eindrucksvolle Bilder verkörpern diese trostlose Stimmung des Romans ebenfalls und machen immer wieder deutlich, dass man der eigenen Vergangenheit nicht entfliehen kann, selbst wenn man sie so systematisch verdrängt wie Ole. Ein weiteres außerordentliches Merkmal das hervorsticht, ist die besondere Verknüpfung der beiden Erzählstränge, die erst nebeneinander herlaufen, sich dann jedoch durch das gemeinsames Ereignis des Konzerts der  „Toten Hosen“ verbinden. So schafft Rudiš, nicht nur durch die Thematik, sondern auch durch seinen Stil und die außergewöhnliche Sprache einen eindrucksvollen Roman, der den Leser durch seine Vielschichtigkeit von Seite zu Seite aufs Neue reizt.

Jaroslav Rudiš, geboren am 8. Juni 1972 in Turnov, ist ein künstlerischer Tausendsassa. Der tschechische Schriftsteller, Dramatiker und Drehbuchautor, ist neben seiner Schriftstellerei in vielfältigen Bereichen tätig. So hat er bereits mehrere Theaterstücke verfasst, ein Hörbuch geschrieben und den Comic Alois Nebel entworfen, der 2013 sogar verfilmt wurde. Ein weiteres wichtiges künstlerisches Standbein Rudiš ist seine Kafka Band, die Musik, Literatur und Videokunst vereint.

Jaroslav Rudiš: Vom Ende des Punks in Helsinki. 349 Seiten. Luchterhand Literaturverlag. München, 2014. € 14,99.

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