Massum Faryar verwebt in seinem Debütroman „Buskaschi oder der Teppich meiner Mutter“ die Geschichte Afghanistans mit der einer Familie und erschafft so eine märchenhafte, aber vergangene Welt.
Von Luise Peters
Massum Faryar, der in Afghanistan geboren wurde, kam 1982 nach Deutschland, studierte in München und lebt heute in Berlin. In „Buskaschi oder der Teppich meiner Mutter“ beschreibt er seine Heimat zwischen den 1920er und 1980er Jahren, und erweckt sie anhand der Geschichte der Familie Dschikani wieder zum Leben. Seinen Roman, durch dessen Struktur sich märchenhafte Elemente und allegorische Figuren ziehen, bezeichnet er „nicht nur als Lebens-, sondern auch als Gewissenswerk“.
Der Protagonist in diesem Werk heißt Schaer, was auf Farsi „Dichter“ bedeutet. Schaer, der seit den 80er Jahren in Deutschland lebt, besucht seine Familie in Afghanistan. Er versucht, seine an Demenz erkrankte Mutter mithilfe ihres Wandteppichs an ihre eigene sowie an die Geschichte der Familie zu erinnern. Beides ist eng miteinander verwoben: Den Teppich bekam sie einst von Schaers Vater zur Verlobung geschenkt, darauf abgebildet ist ein Buskaschi-Kampf. Buskaschi ist ein afghanischer Nationalsport, bei dem zwanzig oder mehr Reiter versuchen, eine tote Ziege zu erbeuten. Schaers Vater gewann einst einen solchen Kampf und nutzte seinen dadurch gewonnenen Wunsch beim König, um einen engen Freund aus dem Gefängnis frei zu bekommen. Der Vater ist es auch, dessen Geschichte den ersten Teil des Romans bestimmt. Es wird geschildert, wie er vom armen Bauersjungen zu einem wohlhabenden Händler in seiner Heimatstadt Herat aufsteigt und schließlich das erste Auto in die Stadt bringt. Er heiratet und gründet eine Familie, Schaer ist sein dritter Sohn. Dieser interessiert sich, ganz dem Ruf seines Namens folgend, schon früh für afghanische Dichter und deren Lyrik. Um ihn herum gilt das allgemeine Interesse allerdings eher der Politik. Zwei seiner Geschwister engagieren sich aktiv in kommunistischen Bewegungen. Die Handlung des Romans folgt den politischen Umbrüchen des Landes, und als Ende der 70er Jahre mit Einmarsch der Sowjets ein neues, blutiges Kapitel in der afghanischen Geschichte aufgeschlagen wird, bleibt auch die Familie nicht von den Auswirkungen verschont.
Massum Faryars Roman spricht eine märchenhaft weitläufige und gleichzeitig fast lyrische Sprache, in der Familiengeschichte und Geschichte des Landes eins werden. Allen, die mit dieser Geschichte nicht oder nur durch die Medien vertraut sind, zeigt er auf diese Art ein neues, anderes Bild von einem Afghanistan, über das er selber sagt, dass es dieses Land so nicht mehr gebe; ein offenes, im Aufschwung begriffenes Land, das über die Jahre unter Kriegen und Machtumbrüchen sehr zu leiden hatte. Die Figuren sind oft mehr als nur handlungsgebend, sie stehen im allegorischen Sinne stellvertretend für einen bestimmten Glauben oder eine Denkweise, wie beispielsweise Maulana Asis, der einen friedlichen, liebevollen Islam verkörpert oder der Mechaniker Amin, der sinnbildlich für die Anhänger des Kommunismus steht. Mit 656 Seiten ist „Buskaschi oder der Teppich meiner Mutter“ keine kurze Lektüre, dafür aber eine sehr kurzweilige und lesenswerte.
Massum Faryar: Buskaschi oder der Teppich meiner Mutter. Kiepenheuer & Witsch, Köln 2015. 656 Seiten, gebundene Ausgabe: 22,99€.
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