Martin Kordić erschafft mit Wie ich mir das Glück vorstelle eine außergewöhnliche Geschichte von Vergangenheit und Gegenwart, Krieg und Frieden, Elefanten, Familie, Sehnsucht, Hoffnung und ja, auch vom Glück.
Von Hannah Elleringmann
Viktor schreibt mit einem Bleistift in ein Heft. Er erzählt von dem, was er weiß, erzählt seine Lebensgeschichte für den einen, der sie liest. Seine Geschichten folgen keinem erkennbaren Muster, er schreibt auf, was ihm wichtig erscheint. Für jede geschriebene Seite malt er einen Elefanten an die Wand seiner Behausung, 170 werden es am Ende sein. Der Junge berichtet vom Land aller Völker, der Stadt der Brücken und dem Dorf der Glücklichen. Dem ortskundigen Leser fällt es nicht schwer, diese Schauplätze real zu verorten. Für alle anderen verweisen diese Fantasienamen auf die allgemeingültige Situation des Jungen, sodass es letztendlich gar nicht so wichtig ist, ob es sich um diese oder jene Stadt handelt. Viel eindrücklicher ist die Sehnsucht des jungen Protagonisten, nach seiner Heimat, seiner Familie und der Zeit, als noch alles gut war. Während der Lektüre mag man sich fragen, wie diese Vorstellung vom Glück denn nun aussieht, um schließlich festzustellen, dass man sie die ganze Zeit in den Händen hält. Viktors Glück sind seine Geschichten, es ist dieses Buch, dort, wo sein Herz ist, denn Viktor findet einen Weg, über das Unaussprechliche zu sprechen, Unbegreifliches greifbar zu machen und vor allem niemals aufzugeben.
Wie ich mir das Glück vorstelle ist Martin Kordićs Herzenswerk. Seit Beginn seines Schreibens hat er sich mit dem Bosnienkrieg beschäftigt und in der kindlichen Erzählperspektive von Viktor, der durch den Krieg alles verloren hat, endlich die geeignete Stimme gefunden. Kordić hat den Krieg selbst als Kind sehr eindrücklich durch Familienmitglieder erlebt, die aus der bosnischen Heimat zu seiner Familie nach Deutschland kamen. Mit Wie ich mir das Glück vorstelle hat Kordić einen berührenden Roman geschaffen, ohne pathetisch oder sentimental zu sein. Die Wahl der kindlichen Perspektive ermöglicht es ihm, frei über Gefühle und Erlebnisse zu berichten, die so groß sind, dass nur ein Kind sie zu erfassen vermag.
Ich möchte gar nicht zu viele Worte über die sprachliche Gestaltung verlieren und mit dem Ärger darüber den Gesamteindruck trüben, aber sie ist so dominant, dass ich auch nicht über sie hinweg sehen kann. Das durchgängige Präsenz, das Kordić wählt, in dem die Grenzen von gestern und heute verschwimmen, verkompliziert das Lesen. Es wirkt unfreiwillig komisch oder ist mitunter schlichtweg falsch. Die Wahl der Perspektive ist Kordićs großer Kunstgriff, mit ihrer Gestaltung wird er jedoch weder seinem Protagonisten noch der eigenen Erzählkunst gerecht.
Martin Kordić : Wie ich mir das Glück vorstelle. Roman. Carl Hanser Verlag, München 2014. 176 Seiten, 16,99 Euro, E-Book 12,99 Euro.
Martin Kordić, geboren 1983, studierte kreatives Schreiben in Hildesheim und Zagreb und arbeitet als Lektor für Belletristik im Hanser Verlag. „Wie ich mir das Glück vorstelle“ ist sein Debütroman.
So zufällig wie ich darauf gestoßen bin, ist vermutlich auch die Ähnlichkeit dieser Rezension in ihrem Schlussteil mit der von Christoph Schröder auf Zeit online („verkompliziert“, „schlicht und einfach falsch“, „unfreiwillige Komik“). Die endet übrigens mit dem Satz: „Aber letztlich bleibt man nach der Lektüre mit dem unguten Gefühl zurück, dass es sich hier einer zu leicht gemacht hat.“
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