Navid Kermani und die großen Fragen

Die Eröffnung der Globale in der Bremischen Bürgerschaft/1.11.2015

18 Uhr

Reger Andrang herrscht im Foyer der Bremischen Bürgerschaft. Über 250 GästeP1100118 zählen die Veranstalter der Globale bereits. Eine Menschentraube wartet bis zuletzt, sie alle stehen auf der Warteliste und wollen noch rein. Schließlich kommt Navid Kermani nicht jeden Tag nach Bremen. Doch die Prominenz lässt sich Zeit. Grund ist, wie hätte es auch anders sein können, die Deutsche Bahn. Die Lesung wird eine Stunde nach hinten verschoben, der Andrang bleibt. Die Stuhlreihen sind bis auf den letzten Platz besetzt, die Besucher vertreiben sich die Zeit mit Rotwein, Weißwein, Sekt und Orangensaft. Getränke gibts nämlich umsonst!

Eine Stunde später

Der erste Ton. Cellist Miran Zrimsek streicht mit präzisem Bogen über die Saiten seines  Instruments. Barock, wie es sich Kermani gewünscht hatte. Der Ton passt. Ein Gespräch wird eingeleitet. Moderatorin Silke Behl führt das Publikum durch den Abend. Auf Kermani prasseln die großen Fragen, auf die es nur kleine Antworten geben kann. Jüngst wurde Kermani der Friedenspreis des Deutschen Buchhandels für sein Buch „Ungläubiges Staunen. Über das Christentum“ überreicht. Kermani wird also politisch, oder vielleicht auch politisiert? Silke Behl stellt Kermani als Vermittler zwischen Orient und Abendland vor, als Künstler, WissenschaftlerKermani 2, Autor. Als jemanden, der zum Zeitpunkt der Romanveröffentlichung noch nicht wissen konnte, in welch politischem und sozialem Umfeld sein Text verortet werden würde. Als jemanden, der vermitteln soll zwischen „Menschenkarawanen biblischen Ausmaßes“ und Beschwörern eines „möglichen Untergangs des Abendlandes“. Das wiegt schwer.

Kermani antwortet mit einer groben Entstehungsgeschichte seines Buches. Auf den Stoff ist er in Rom gestolpert. Aufgewachsen im protestantischen Siegen sei er schier überwältigt gewesen vom Bilderreichtum in Italiens Hauptstadt. Deshalb versenkt sich Kermani in seinem neusten Buch Kermani 1in die Bilderwelt des christlichen Glaubens. Er kombiniere einen persönlichen Bewusstseinsstrom mit kulturgeschichtlichen Abhandlungen anderer Wissenschaftler, so benennt zumindest die Moderatorin sein literarisches Vorgehen. Dazu Kermani: „Ich weiß ehrlich gesagt gar nicht, was mein eigener Ansatz ist. Es ist die Aufgabe des Lesers, das herauszufinden.“ Wichtig für ihn sei es gewesen, die Zufälligkeit der Bilderauswahl zu bewahren, um keinen Katalog der für die Zeitgeschichte wichtigsten Bilder des Christentums zu entwerfen. Wo die Kulturgeschichte mit einem Postulat des Erklärbaren endet, soll Kermanis Literatur beginnen: in der Verbindung zwischen Kunst und Religiösität. Mit diesen Gedanken im Hintergrund möge die Lesung beginnen!

Irgendwann abends

Kermani liest. Auf einer Leinwand im Hintergrund werden die religiösen Bilder abgebildet, auf die er sich in seinen Texten bezieht. Mit dabei: Gerhard Richters Domfenster und El Greco, Der Abschied Christi von seiner Mutter. Was mir im Ohr hängenbleibt: das Wort „hochwertig“ und der Satz: „Die islamische Kunst schließt jegliche Bildhaftigkeit aus“.

Irgendwann später abends

Auf Kermani prasseln wieder große Fragen ein, auf die es nur kleine Antworten geben kann. Inwieweit er Zuneigung auf eine Kirche überträgt, die nicht die seine ist. Inwieweit die Literatur die Menschheitsgeschichte verbessern kann. Wie sich Kermani wünscht, dass „wir“ über den Islam nachdenken. Was die Kunst an sich kann. Hierzu ein Zitat Navid Kermanis:

Die Literatur versucht, widersprüchliche Erfahrungen zu fassen. Sie schafft es im besten Falle eine komplexe Verdichtung wiederzugeben, ohne auf einen Punkt zu kommen.“

Und zuletzt, noch ein Buchtipp von Navid Kermani. Er empfiehlt eine literarisch-kulturgeschichtliche Begegnung mit dem Islam aus der Perspektive eines Nicht-Muslims: Titus Burckhardts „Fes: Stadt des Islam“. Fröhliches Lesen und gute Nacht!

Text und Fotos: Saskia Bücker

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