Rezension zu Abbas Khiders Roman „Ohrfeige“
Von Wenke Bruchmüller
Und „Hast du dir eine Geschichte einfallen lassen?“ – Diese Frage beschäftigt Karim Mensy, Protagonist von Abbas Khiders viertem Roman, neben dem Durchlaufen von Asylbewerberheimen und den Mühlen deutscher bürokratischer Apparate.
Aus dem Irak flieht Karim nach Mitteleuropa und landet in der bayrischen Provinz, obwohl sein eigentliches Ziel Paris ist. Dieses resignierende ‚eigentlich’ beschreibt Karims Ringen mit der Welt im weiteren Verlauf sehr treffend. Wunsch und Realität driften immer mehr auseinander, wenn sich Karim im tiefsten Winter nach Normalität sehnt und anstatt im Café zu sitzen, sich mit seinen Zimmergenossen im Einkaufszentrum aufwärmt. Karim wünscht sich, ein Studium anzufangen, doch sein Schulabschluss wird in Deutschland nicht anerkannt. Er will seiner Familie Geld schicken, kommt selbst jedoch gerade so über die Runden. Die immer größer werdende Diskrepanz zwischen Wunsch und Realität ist schließlich nur noch durch Gras- und Haschisch-Konsum zu überstehen. Karim sitzt bekifft vor der Glotze und monologisiert in Gedankenflashs, die wenig subtil, ganz schräg und klar als Rausch markiert, in abgetrennten Kapiteln daherkommen. Reiht kurze Sätze aneinander. Werbung. Nachrichten. Haschisch untermischen.
Khider beschreibt eine Welt, in der Asylbewerber ihre Lebensläufe erfinden und zwischen der „Sechsfaltigkeit möglicher Asylanträge“ wählen, um nicht in ihr Heimatland abgeschoben zu werden. Karims erlogenes Asylrecht wird nach den Anschlägen vom 11. September aufgehoben. Ihm droht die Abschiebung, denn Deutschlands Beziehung zum Irak ändert sich abrupt. Schlagwörter wie Islam und Terrorismus beherrschen nun das gesellschaftliche Denken und lassen die Alarmglocken schrillen. Muslime und Araber stehen unter Generalverdacht und werden dadurch mitunter erst zu Fundamentalisten gemacht. In diesem Kontext besticht Khider durch die nichtwestliche Erzählhaltung. Kein europäischer, privilegierter, außenstehender Erzähler berichtet hier im Betroffenheitsmodus von Dingen, die er nur objektiv betrachtet. Sondern Karim als Erzähler, der „plötzlich zwischen Scheiße und Scheiße wählen“ muss und am Ende kurz vor dem Wahnsinn Deutschland wieder verlassen will.
Khiders Sprache ist einfach, seine Satzordnung logisch, nicht aufgeladen mit kitschigen Metaphern. Gerade das ist für den Autor Khider und den Leser angenehm, denn so schafft es die deutsche Sprache einerseits eine objektive Distanz zu Szenen über die grausamen, erinnerten Taten im Irak zu schaffen. Andererseits ermöglicht nur ein nicht verbissener, cholerischer Duktus, den Erzähler Karim nicht als manisch abzustempeln; zwischen Vorurteils-Ping-Pong, Armut und Alltagsrassismus will er nicht wie viele seine Kameraden verrückt oder kriminell werden. Nein, Karims Ventil ist der Hasch.
In weniger benebelten Zuständen trifft Karim dann am Ende eine ohrfeigende Erkenntnis. Schicksal bleibt Schicksal, denn „wir“, die Geflüchteten, „sind alle wie geschmacklose und billige Produkte aus dem Ausland, die man bei Aldi und Lidl finden kann.“
Abbas Khider: Ohrfeige. Carl Hanser Verlag. 2016. 220 Seiten. Deutschland. 19,90€.
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