
Rezension zu Kaouther Adimis Steine in meiner Hand
Von Melanie Trolley
Ein Leben in Paris, für viele ist das ein Traum. Für die junge Erzählerin in Kaouther Adimis zweitem Roman Steine in meiner Hand bedeutet dies, ein Leben fernab der Heimat, ihrer traditionellen Erziehung und den Erwartungen der Familie. Die in der Kindheit so schillernd beschriebene europäische Großstadt ist jedoch kein Garant für Glück.
Kaouther Adimi wurde 1986 in Algier geboren. Ihre Kindheit und Jugend verbrachte sie in einem Land, das von Bürgerkrieg geprägt ist. Seit 2009 lebt die junge Schriftstellerin in Paris und verarbeitet in ihren Büchern ihre Kindheitserinnerungen aus Algerien. Mit ihrem neuen Roman hat sie den Sprung auf die Bestsellerlisten und die Nominierungslisten mehrere französischer Literaturpreise geschafft.
Steine in meiner Hand beschreibt den Balanceakt einer jungen Frau, die ihre Identität zwischen unterschiedlichen Welten und Lebensentwürfen sucht. Anlässlich der Verlobung ihrer jüngeren Schwerster wird die halbfreiwillige Singlefrau mit der Angst vor dem Alleinsein und Fragen an die Zukunft konfrontiert. Sie steht zwischen Traditionen, dem beharrlichen Drängen ihrer Mutter nach Algier zurückzukehren, um dort zu heiraten und dem Wunsch nach Freiheit und Selbstbestimmtheit.
Sehr feinsinnig befasst sich Adimi mit dem Hin- und Hergerissensein der Mittdreißigerin – zwischen Algier und Paris, zwischen Tradition und Moderne. Locker und humorvoll beschreibt sie den Konflikt zwischen Mutter und Tochter und schafft es dabei, einen ernsthaften Blick auf das Leben junger algerischer Frauen zu werfen. Anne Berthod (La Vie) nennt die Protagonistin „eine arabische Bridget Jones, bissig und melancholisch zugleich“ und trifft damit ins Schwarze. Adimis Roman schafft jedoch mehr als bloße Unterhaltung. Sie ermöglicht ihren Leserinnen und Leser Einblicke in ein Land, das vielen noch immer fremd ist, und öffnet den Blick für die Schwierigkeiten, die die Identitätssuche in der Fremde begleiten.
Die Erzählerin beschreib ihr Leben als „die Geschichte eines Mitteldings, das es nicht schafft, ein anderes Ding zu finden, an dem es sich vertrauensvoll festklammern kann“, – Steine in meiner Hand ist jedoch viel mehr als das: eine große Erzählung, die den Blick für neues öffnet.
Steine in meiner Hand, Kaouther Adimi, 2017, Lenos Verlag, 180 Seiten, 19,90 Euro.