
Rezension von Annemieke Kuper
„Meine kroatische Familie ist wie ein Beefsteak Tatar, dieses Gericht, das auf dem Teller gut aussieht, von dem aber niemand so genau weiß, was es enthält.“
So beginnt Richard Swartz‘ Blut, Boden & Geld (2016), ein in vielerlei Hinsicht anspruchsvolles Werk, das im komplexen kulturellen Geflecht der kroatischen und jugoslawischen Geschichte einen Bogen zwischen Krieg, Identität und der Unbeständigkeit des irdischen Daseins spannt.
Richard Swartz ist Schwede, lebt aber seit etwa 25 Jahren in einem kleinen Dorf im istrischen Sovinjak und pendelt mehrmals im Jahr zwischen Wien, Zagreb und seiner Geburtsstadt Stockholm. Wie seine Publikationsgeschichte zeigt, ist Swartz jedoch nicht nur ein Grenzgänger zwischen Kulturen, sondern auch zwischen journalistischen Textarten der Realitätsreflektion und Prosaformen der Belletristik. So war Swartz jahrelang Osteuropa-Korrespondent des Svenska Dagbladet und schreibt seit Mitte der 1990er Romane und textsortenübergreifende Werke, die sich zwischen Kulturjournalismus und Fiktion bewegen. In seinem neuesten Werk Blut, Boden & Geld arbeitet Swartz anhand seiner angeheirateten kroatischen Familie historisch fundiert und autobiografisch den Zerfall des Vielvölkerstaats Jugoslawien in politisch neu konstruierte, nationale Einheiten auf.
Blut, Boden & Geld erzählt die Geschichte dieser kroatischen Familie im zeitlichen Kontext der „Metamorphosen“ des ehemaligen Jugoslawiens vom Vielvölkerstaat nach dem Ersten Weltkrieg über die sozialistische Staatsphase nach dem Zweiten Weltkrieg bis zum Zerfall im Jahr 1991 und dem fast gleichzeitigen Ausruf der unabhängigen kroatischen Republik. Im Mittelpunkt steht vor allem Swartz‘ Schwiegermutter, die Mutter der kroatischen Schriftstellerin und Journalistin Slavenka Drakulić, mit der Swartz seit vielen Jahren verheiratet ist und im istrischen Dorf Sovinjak lebt. Dieses kleine Dorf im prototypischen „Grenzland“ Istrien wird zum zentralen Ort der Erzählung, an dem italienische, kroatische und slowenische Identitäten als Folge kriegerischer Auseinandersetzungen sprachlich und mental untrennbar verschmolzen sind. Der Erzähler in dieser Geschichte ist durchgängig derjenige, dessen Name der Buchdeckel schmückt: Richard Swartz. Anhand seiner kroatischen Verwandtschaft reflektiert er nicht nur die ihn umgebenden fluiden Identitäten im heutigen Istrien, sondern beschreibt authentisch und tiefgründig den Schmerz der ehemaligen Jugoslawen und Jugoslawinnen, denen im Laufe ihres Lebens als Folge von Kriegen und politischen Wendungen immer wieder neue nationale Zugehörigkeiten auferlegt wurden.
Swartz‘ Werk teilt sich in drei thematische Kapitel: „Blut“, „Boden“ und „Geld“. Eines der ersten Dinge, die dem Leser bei der Lektüre auffallen, ist die mitunter durch ungewöhnliche Nähe charakterisierte Erzählhaltung des Autors. Swartz‘ Prosa konfrontiert den Leser unmittelbar mit einer durchweg subjektiven und sehr persönlichen Sichtweise auf die geschilderten Ereignisse. Der Leser stellt daher immer wieder fest, wie wenig Distanz zwischen dem Text und seinem Autor besteht. So kann es mitunter irritieren, dass der Text scheinbar keine Fiktionen aufweist und über weite Strecken autobiografische Erfahrungen beschreibt, die sehr einem Erlebnisbericht ähneln. Stilistisch können diese Eigenarten des Textes jedoch als durchaus innovativ beschrieben werden, da Swartz scheinbar bewusst journalistische und literarische Schreibweisen kombiniert.
Richard Swartz ist somit mit Blut, Boden & Geld ein hochinteressantes Werk gelungen, das die kulturellen Verpflechtungen im heutigen Kroatien sprachlich anspruchsvoll diskutiert und den Bedingungen der Existenz mit spannenden autobiografischen Beobachtungen auf den Grund geht. Am Ende steht die Erkenntnis, dass dem kleinen Sovinjak die große Welt und ihre Kämpfe um Blut und Boden gleichgültig sein können, dass Identität vor allem eine Frage der Situation ist und die persönliche Heimat beständig in der Sprache existieren kann.
Blut, Boden & Geld – Eine kroatische Familiengeschichte, Richard Swartz, 2016, Verlag S. Fischer, 224 Seiten, 19,99 Euro