Politik der Poeten

Foto: Kiepenheuer & Witsch

Eine durch Worte getragene friedliche Revolution. Hinter dem politischen Rednerpult ein Dichter. Es klingt utopisch, eher nach einem Romanstoff als nach der Realität. Doch die Bilder, mit denen der bekannte Literaturkritiker Volker Weidermann sein Werk Träumer – Als die Dichter die Macht übernahmen füllt, sind direkt der deutschen Geschichte entnommen.

von Verena Bracher

 Im November 1918 nach dem Ende des Ersten Weltkrieges beginnt in München, der Hauptstadt des gerade zum Freistaat erklärten Bayerns, der Versuch, eine stabile Demokratie herzustellen. Der zum Ministerpräsidenten gewählte Kurt Eisner wagt den Versuch einer von Parlament und Räten geprägten Politik. Doch die Gesellschaft ist geprägt durch rivalisierende, unterschiedliche Interessen verfolgende politische Gruppen; der gewaltsame Tod des Ministerpräsidenten führt zum Kräftemessen der von allen Seiten nach Einfluss strebenden Parteien. Die gewählte Regierung wird vorübergehend abgesetzt, im April 1919 wird eine Räterepublik ausgerufen. Die neu begründete Republik wird nicht lange bestehen, bereits vier Wochen später wird sie blutig niedergeschlagen. Was als friedliche Bewegung begann, gipfelt in einem grausamen Machtkampf.

Der erste Weltkrieg endet und hinterlässt ein Machtvakuum. Doch nicht Verzweiflung und Not prägen die Akteure aus Volker Weidermanns Werk, sondern Hoffnung und das Erkennen der Chance, die Politik in München ganz neu zu prägen. Weidermann versteht es, aus dem linearen Geschichtsverlauf die einzelnen Handlungsträger herauszuarbeiten. Nicht von der großen politischen Idee hinter den gesellschaftlichen Bewegungen erzählt er, sondern von den Beweggründen der Einzelnen. Und nicht unbekannte Spinner sind es, die entlang des politischen Geschehens darauf hoffen ihre Träume verwirklicht zu sehen, sondern Namen wie Rainer Maria Rilke und Oskar Maria Graf prägen die Politik mit. Der Dramaturg Ernst Toller, der Schriftsteller und Anarchist Erich Mühsam und der Philosoph Gustav Landauer – die wortgewandten Köpfe der Stadt, die Kunstschaffenden, die Poeten – sie sind es, die politisch Stellung beziehen für Arbeiter und Bauern.

Viele Figuren, viele Eindrücke und schriftlich festgehaltene Erlebnisse ergänzen sich zum Bild des Münchens der Jahre 1918/1919. Entlang von Schriftstücken, Briefen und Gedichten werden die Gedankengänge, Erlebnisse und Emotionen der Beteiligten festgehalten. Die Fülle der Figuren ist manchmal verwirrend, doch sie werden für den Leser greifbar gemacht. Besonders die ambitionierten Reden der Dichter und die Atmosphäre der Räume, in denen sie das Wort ergreifen, wird genutzt, um die Stimmung dieser Zeit einzufangen. Die Tagebucheinträge des nicht öffentlich parteiergreifenden Thomas Mann ergänzen den Einblick in die zeitpolitischen Entwicklungen und lassen den Leser im Wissen des Kommenden erschauern. Ausgerechnet die Einträge des berühmten Schriftstellers sind es, die die antisemitische Haltung in der Bevölkerung aufgreifen und den Hass spüren lassen, der in der unruhigen Zeit aufkeimt.

Eine Regierung, mitgestaltet durch `Dichter und Denker´– zu schön um wahr zu sein? Ein Narr, wer an eine friedliche Revolution vom Rednerpult aus glaubt?  Volker Weidermanns Erzählweise lässt keinen Zweifel am Scheitern der Dichter. Bereits im Titel, Träumer, zeichnet er das Bild von Männern, die einer Utopie nachjagen, angetrieben von humanistischen und pazifistischen Bestrebungen, Hoffnungsträumen und Fantastereien. Oft schlägt Weidermann einen ironischen Ton an, wenn er die Situationen beschreibt, denen sich die Befürworter der sich neu bildenden Regierung gegenübergestellt sehen. Das bringt der historische Stoff wohl mit sich: Die Betrachtung der Vergangenheit lässt Geschehnisse prädestiniert und unausweichlich erscheinen. Beinahe lächerlich wirken manche Bemühungen der Protagonisten, wie Puppen im Spiel um die Macht und hilflos im Kampf gegen die Windmühlen der politischen Realität. Ihre Ambitionen und Träume schildert Weidermann voller Emotionalität, kontrastiert durch die ernüchternde Selbstverständlichkeit ihrer teils grausamen Schicksale. Eine weitere Figur zeichnet sich am Rande der Erzählung ab: Adolf Hitler, der das am Ende von politischen Wirren gebeutelte München für seinen ersten Putschversuch nutzen wird. Er wird dafür sorgen, dass die kurze Zeit der Räterepublik und die, mit ihr verknüpften Träume und Hoffnungen, vergessen sein werden im Schatten der kommenden Schrecken.

Volker Weidermann: Träumer – Als die Dichter die Macht übernahmen. Verlag Kiepenheuer & Witsch, 2017. 288 Seiten. 22,00 €.

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