„Was uns zerbricht, das rettet uns“

Foto: Mikrotext

Die syrische Schriftstellerin Rasha Abbas verarbeitet in ihrer Kurzgeschichtensammlung Eine Zusammenfassung von allem, was war Erinnerungen an Krieg und dessen Konsequenzen in ihrem Geburtsland. Was nach der Lektüre zurück bleibt, ist das Gefühl, viel erlebt und davon nur wenig verstanden zu haben.

Rezension von Lara Bechtold

Schwimmen in einem Pool, über den Militärhelikopter und vielleicht auch mal eine Schilka-Flugabwehrrakete fliegen. Ein abgetrennter Kopf, der wie eine Zimmerpflanze in einem Blumentopf auf dem Fenstersims sitzt, regelmäßig gegossen wird und trotzdem verdorrt. Ein geknickter Ausweis, der am Grenzübergang dazu führen kann, als UnterstützerIn der Opposition oder IslamistIn verhaftet zu werden. Gefangenschaft und Folter aufgrund der Anklage, die eigene Tochter bis zu ihrem Tod monatelang im Keller eingesperrt zu haben. Davon zu träumen, Judo zu lernen, während man ab 5 Uhr morgens in der Bäckerstube steht und sich krampfhaft bemüht, die eigene Arbeit spannend zu finden. Eine lange Busfahrt, die nach neuen Methoden verlangt, die Zeit totzuschlagen. Ein Ort, in dem die Zeit tatsächlich stehen geblieben ist und in dem Menschen dem Wettlauf gegen die Zeit entkommen können. Eine durch einen Schwangerschaftstest verstopfte und überfließende Toilette, die ganze Wohnungen überflutet und alle Menschen in der Umgebung mit sich reißt. Auf der Flucht sein und in abgeschiedenen Orten unterkommen, in ständiger Angst davor, vom eigenen Vater gefunden zu werden.

Dies sind nur einige Beispiele aus den 21 Erzählungen in Rasha Abbas neuem Buch. Aus den Perspektiven unterschiedlicher Ich-Erzähler*innen kreiert die Autorin Geschichten über Flucht, Gewalt und Einsamkeit. Dies sind Themen, worüber die Autorin zumindest teilweise aus eigener Erfahrung erzählen kann, da sie selbst ihr Geburtsland Syrien im Jahr 2013 auf legalem Weg verlassen hat und seit 2015 in Deutschland und den Niederlanden lebt. Ihre Geschichten sind dabei mal mehr, mal weniger skurril, die Episoden manchmal realistisch, manchmal surreal wirkend, die mal humoristisch anklingen, aber sehr viel häufiger einen bitteren Geschmack und ein beklemmendes Gefühl hinterlassen. Das schmale Bändchen hält dabei, was der Titel verspricht, denn die Passagen bieten in der Tat Eine Zusammenfassung von allem, was war. Sie verknüpfen Realität und Traumbilder miteinander und hinterlassen nach der Lektüre zunächst ein Gefühl großer Verwirrtheit, ausgelöst durch die Vielschichtigkeit der Geschichten. Diese ist auch der Grund dafür, die Lektüre trotz ihrer geringen Seitenanzahl immer wieder aus der Hand legen zu wollen und sich darum zu bemühen, das Gelesene in Gedanken zu sortieren und somit greifbarer zu machen.

Diese Art der Erzählung ist eine der wenigen Möglichkeiten, der Komplexität von Krieg und dem, was er für die Betroffenen bedeutet, überhaupt gerecht zu werden, denn nur auf diese Weise kann sie für die Leser*innen zumindest ansatzweise erfahrbar gemacht werden. Die Worte, mit denen die Autorin ihre Erzählungen beginnt, deuten zumindest darauf hin, dass manchmal der schwere Weg der notwendige ist: „Was uns zerbricht, das rettet uns“.

Eine Zusammenfassung von allem, was war, Rasha Abbas, 2018, Mikrotext, 180 Seiten, 20,99 €.

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