© Marie-Christine Gollner-Schmid
Schon als wir die junge Frau während ihrer Lesung und dem anschließenden Gespräch mit der Moderatorin beobachten, ist sie uns sympathisch. Luna Al-Mousli ist kaum älter als wir und hat, obwohl das so nie geplant war, bereits zwei Bücher geschrieben und veröffentlicht. Bei der globale° stellte sie ihr aktuelles Buch Als Oma, Gott und Britney sich im Wohnzimmer trafen oder Der Islam und ich vor und nahm sich danach Zeit für ein Interview mit uns.
von Sabrina Weisser und Ramona Wendt
Luna Al-Mousli ist in Österreich geboren, lebte dann bis zu ihrem 14. Lebensjahr in Damaskus und zog mit ihrer Familie anschließend wieder zurück. In Wien ist sie auch heute noch zu Hause. Für die Abschlussarbeit ihres Grafikdesign-Studiums wurde sie vor die Aufgabe gestellt, ein Buch zu entwerfen. Daraufhin hatte sie die Idee, ihr Buch nicht nur mit Zeichnungen zu füllen, die von ihrer Kindheit in Damaskus inspiriert sind, sondern ihre Erlebnisse ebenfalls in Worten festzuhalten. Seitdem ist sie nicht mehr „nur“ Grafikdesignerin, START-Stipendiatin und sozial Engagierte, sondern auch noch Autorin. Im Interview erzählt sie uns von ihren beiden Büchern, ihrer aufregenden Kindheit mit einer arabischen Großfamilie und zukünftigen Plänen.
Du hast im Gespräch schon angedeutet, dass du dich selbst gar nicht so richtig als Autorin siehst bzw. dass es eben nie dein vorrangiges Ziel war, eine zu sein. Wie fühlt es sich jetzt mit dem Erfolg des ersten Buches an, als Autorin auf Literaturfestivals eingeladen zu werden?
Wenn ich überlege, wie das überhaupt alles zu Stande gekommen ist, ist es schon immer noch sehr überwältigend zu sehen, wie viele Menschen man eigentlich damit erreichen kann und auch mit wie vielen man etwas teilen kann. Eigentlich habe ich das erste Buch nur für mich geschrieben, für mich und meine Familie und vielleicht auch noch für Freunde. Ich hatte das als Zielgruppe vor Augen, aber nicht, dass es andere oder fremde Menschen lesen. Plötzlich sind sie dann so nah und können das teilen. Auch jetzt, bei dem neuen Buch, hab ich mir keine konkrete Zielgruppe ausgesucht. Ich dachte mir, du schreibst es, erzählst es einem Freund oder einer Freundin oder jemandem von deiner Familie.
Stimmt es, dass deine Freundin dein erstes Buch, ohne dass du davon wusstest, zu einem Verlag geschickt hat? Wie war das für dich?
Ja, ich habe von dem ersten Buch zehn Stück selbst gebunden und davon habe ich eins einer Freundin oder viel mehr Mentorin mitgegeben, sozusagen als Abschluss für mein Studium. Sie kennt den Verlag und hat es denen dann in Frankfurt gegeben. Und die haben dann gefragt: „Hey, Luna, magst du nicht mal vorbei kommen, nach Frankfurt?“, und ich hab mich dann nur gefragt, wieso. Naja, und dann war da mein Buch.
Dein erstes Buch hat den österreichischen Kinder- und Jugendliteraturpreis gewonnen. Bewirbt man sich dafür oder wird man von einer Jury ausgesucht? Wie ist das bei dir abgelaufen?
Das geht über den Verlag, der hat das irgendwie eingefädelt. Wir mussten dann eine zweite Edition vom Buch rausbringen, weil die erste so teuer ist. Diese erste Ausgabe gibt es auch gar nicht mehr, die ist nicht mehr erhältlich, weil das so kompliziert war. (Anmerkung: Die allererste Ausgabe von Lunas Debüt Eine Träne. Ein Lächeln. Meine Kindheit in Damaskus war aufwendig gestaltet und enthielt aufklappbare Schwarzweißfotografien.) Aber es gibt bestimmte Regeln für Kinder- und Jugendbücher. Und plötzlich war mein Buch Teil des White Ravens, das ist ein Literaturfestival in Bayern für Kinder- und Jugendbücher. Eigentlich hatten wir kein Buch, was dazu passte. Als Text war es schon Teil davon, aber dann mussten wir natürlich, da wir eh fast keine Bücher mehr hatten, ein neues machen. Da dachten wir, machen wir doch einfach eine Tochter der ersten Ausgabe. Das rote Buch ist dann sozusagen die Tochter vom ersten Buch geworden.
Du hast als Jugendliche das START-Stipendium bekommen, daraus hat sich für dich später noch etwas Tolles ergeben. Magst du etwas darüber erzählen?
Das START-Stipendium ist ein Stipendium für Jugendliche mit Migrationshintergrund, die prinzipiell in der Schule sehr gut sind und sich immer engagiert haben, sei es in der Schule oder in ihrem Umfeld. Ich habe das damals bekommen, also das ist schon sehr lange her (lacht), 13 oder 14 Jahre, und dadurch habe ich sehr viel gelernt und es hat sehr viel beeinflusst. Viele meiner engsten Freunde sind Stipendiaten oder jetzt Ex-Stipendiaten. Ich war Teil der ersten Generation und wir wussten damals, wir wollen nicht aufhören. Deswegen entstand im Nachhinein noch ein Alumni-Verein, der dann was anderes macht, sich aber im gleichen Bereich engagiert. Aber wir wollten woanders andocken und eine andere Zielgruppe haben, trotzdem aber mit dem Ziel Bildung, Integration und Zusammenarbeit. Das wollten wir irgendwie zusammenbringen.
Du meinst bestimmt das TANMU Projekt?
Ja, genau. Das ist eine Lernhilfe für Jugendliche, aber das ist natürlich nicht das einzige, was die machen, denn es gibt viele unterschiedliche Projekte. Manche dauern länger, manche gibt es nur für eine kurze Phase, zum Beispiel nur für zwei Wochen und dann ist das schon wieder zu Ende. Ich bin mittlerweile seit zwei Jahren ausgestiegen. Davor war ich sehr lange Vorsitzende von dem Verein, wir haben dann immer verschiedene Projekte gemacht. Das läuft jetzt auch alles noch, nur eben ohne mich.
Wir möchten den Blick mit dir zusammen gern noch mal auf deine Kindheit und somit auch auf dein neues Buch richten. Du hast viel Zeit in Syrien, aber dann auch in Österreich verbracht. Siehst du dich selbst denn eigentlich mehr als Syrerin oder als Österreicherin? Oder kann man das so gar nicht sagen?
Ich glaube, man kann es so gar nicht sagen. Ich bin in manchen Situationen mehr das, in manchen Situationen mehr das andere. Das braucht den Gegenpol. Das ist auch das Gute daran, wenn man in zwei unterschiedlichen Kulturen aufgewachsen ist. Man kann dann einfach springen, wann immer es die Situation erfordert. Gewisse Eigenschaften habe ich als Österreicherin einfach nicht, die aber manchmal in gewissen Situationen doch so wichtig sind, dass sie da sind und dann hol ich sie mir von woanders her, weil ich das so machen kann, zum Glück.
Auch in deinem zweiten Buch geht es um viele deiner Kindheitserinnerungen. Wie verläuft denn da der Schreibprozess? Du hast vorhin im Gespräch schon gesagt, dass du immer und überall sehr viele Post-its dabei haben musstest, für den Fall, dass wieder eine Erinnerung kommt. Ist denn alles, was du schreibst, authentisch oder ist auch mal etwas dazu erfunden?
Dazu gedichtet ist nichts, aber manchmal sind dann schon Sachen übertriebener beschrieben.
Das ist eben auch die Wahrnehmung eines Kindes. Du hast das Gefühl, etwas ist riesig und stehst dann später, also jetzt als erwachsene Frau, in einem Raum und denkst dir: Was? So klein? Der Pool zum Beispiel war sicherlich niemals so groß, wie er sich für mich als Kind immer angefühlt hat. Es kam mir so vor, als könnte man ewig von einem zum anderen Ende schwimmen, aber eigentlich ist man schon mit zwei Mal kraulen von der einen Seite zur anderen geschwommen. Das tolle ist, dass das Kind so eine andere Wahrnehmung hat und eigentlich automatisch übertreibt, weil es einfach so klein ist – und das ist ja auch voll schön.
Du schreibst auch von eurem Familientreffen im Libanon. Leider gab es das in den letzten Jahren nicht mehr so oft, dass wirklich die ganze Familie zusammenkommt…
Ich hoffe, dass es sowas noch mal geben wird! Man weiß es halt nicht genau, aber wir versuchen das schon irgendwie. Wir haben das auf dem Radar. Das Problem ist, man weiß einfach nicht, wie sich die Situationen in den nächsten Jahren vor Ort entwickeln… Das ist leider so, aber wir haben das auf jeden Fall vor.
Beim Lesen deines Buches denkt man sich, dass man am liebsten mit dabei und Teil der Geschichte wäre. Gleichzeitig kann man sich selbst wiederfinden und wird auch an Momente aus der eigenen Kindheit erinnert, wirklich schön. Bei euch war es wahrscheinlich nie langweilig.
Naja, doch. Als Kind hat man es auch manchmal langweilig gefunden. Aber aus Langeweile entsteht Blödsinn und aus Blödsinn entstehen Geschichten, und das ist ja auch das Gute daran.
Hast du auch vor, dein aktuelles Buch für deine Familie zu übersetzen?
Das wird jetzt gerade tatsächlich auf Arabisch übersetzt. Wir haben einen Verlag in Kairo, der es auf Arabisch herausbringt. Aber das braucht jetzt natürlich noch ein bisschen Zeit, denn das ist ja auch ein gewisser Prozess.
In deiner Familie sind alle bestimmt auch sehr neugierig, was du dieses Mal zu Papier gebracht und veröffentlicht hast.
Auf jeden Fall, die wissen auch alle, dass da Situationen oder ganz bestimmte Geschichten von früher drin vorkommen.
Das gibt dann sicherlich noch einmal zusätzlichen Gesprächsstoff, wenn die Familie wieder zusammenkommt, oder? Dann kann jeder noch einmal von seiner eigenen Version der Geschichte berichten.
Das ist eben auch das Schöne an subjektiver Wahrnehmung. Sie ist so subjektiv, dass manche sagen, dass sie gar nicht da waren, dass sie nie mit einem an diesem Ort gewesen sind. Und trotzdem kannst du selbst schreiben oder sagen „Ja, doch!“, weil die eigene Erinnerung daran halt schon sehr stark ist.
Du hast auch über den Ramadan und darüber, wie ihr ihn gefeiert habt, geschrieben. Da müssen Kinder erst einmal nicht mitmachen. Ab welchem Alter sollen oder dürfen die Kinder denn auch daran teilnehmen?
Ab dem Moment, wo du zur Frau geworden bist, also ab der Periode sozusagen, sollen Kinder mitmachen. Aber Kinder ahmen das gerne vorher schon nach, weil die Eltern es auch machen und dann werden sie gefragt, warum sie nichts essen. Sie antworten, dass sie fasten, weil Ramadan ist und dann möchte man als Kind auch einfach dazu gehören. Man möchte auch diesen Spaß nach Sonnenuntergang beim großen Essen haben. Wir haben das mit dem Fasten dann ausprobiert, haben aber natürlich nie durchgehalten. Am Wochenende oder so, da haben wir dann manchmal schon gefastet, aber da waren wir auch schon 13 oder 14 Jahre alt.
Was glaubst du, wie geht es weiter, möchtest du denn auch in Zukunft noch schreiben?
Ja! Es macht mir schon auf jeden Fall sehr viel Spaß.
Wird es dann wieder autobiografisch oder kannst du dir auch vorstellen, eine fiktive Geschichte zu schreiben?
Ich glaube, bis jetzt kann ich sagen, dass ich nur autobiographisch arbeiten kann. Das Gute daran ist, dass ich für das Geschriebene meine Hand ins Feuer legen würde, denn das bin ja ich. Es kommt aus mir heraus, ich erfinde keine neuen Sachen, sondern das bin ich selbst. Okay, in allen Büchern, die man schreibt, ist man auch zum Teil selbst mit drin. Aber ich mag das so, wie ich es mache, schon sehr gern.
Das ist doch ein schöner Abschluss. Vielen Dank, dass du dir die Zeit für uns genommen hast und wir freuen uns darauf, auch in Zukunft weiter von dir lesen zu können.