Manipulation, vier Buchstaben

© privat

Dieser Text ist im Creative Writing Seminar ›Kreative Schreibwerkstatt: Von Fremdem und Eigenem‹ der Uni Bremen entstanden. Die Aufgabenstellung für diesen Text war, die gleiche Szene in narrativer Sprache (Telling) und szenischer Sprache (Showing) zu schreiben.

Von Patricia Schnippat

Telling: 

Es ist noch früh am Morgen. Sie sind vor einer halben Stunde aufgestanden, sitzen nun am Küchentisch. Anna hat die Zeitung vor sich aufgeschlagen, pustet den Dampf von ihrem frischen Kaffee und lächelt ein bisschen, obwohl es gar keinen Grund gibt. Sie ist einfach glücklich. Nils sitzt ihr gegenüber, sieht sie immer mal wieder zufrieden an. Das Schweigen zwischen ihnen ist friedlicher Natur. Er nimmt über den Küchentisch hinweg ihre Hand, mit der anderen kritzelt er wilde Kreise auf ihren Einkaufszettel von gestern. Erst als sie die Seite mit dem Kreuzworträtsel aufschlägt, fällt Anna auf, dass er ihren Kreuzworträtselstift in der Hand hat. 

Sie bittet ihn um den Stift, wobei sie versucht, nicht zu pedantisch zu klingen. Nils aber sieht sie verständnislos an. Anna weiß, dass ihre Forderung kleinlich ist, aber warum kann Nils ihr den Stift nicht einfach geben und einen anderen nehmen? Sie versteht es nicht, beginnt zu diskutieren, und mit jedem Satz wird Nils’ Gesichtsausdruck ärgerlicher. Dabei hat er das Ganze doch angefangen! Erst als Anna wütend mit der Hand auf den Tisch schlägt und ihn anfaucht, gibt Nils nach und reicht ihr den Stift. Mit einem Mal kommt sie sich albern vor. Was für ein lächerlicher Streit. Sie bedankt sich und ist selber erstaunt, wie ernst es ihr damit ist.

Wieder ruhiger und seltsam erleichtert beginnt sie mit ihrem Kreuzworträtsel. 

Es sei eh nur ein Test gewesen, sagt Nils da plötzlich und dass er es interessant finde zu sehen, was Menschen bereit seien, denen zu geben, die sie lieben.

Anna ist schockgefroren. Was ist sie nur für ein schlechter Mensch. Nicht mal einen blöden Stift kann sie ihm lassen. Doch dann sieht sie Nils’ Lächeln, das auf einmal unerträglich selbstgefällig aussieht. Mit einem Mal wird ihr klar, was er getan hat. Eines hat der »Test« ohne Zweifel gezeigt: Dass Nils’ ganz andere Seiten an sich hat, als sie bisher kannte. Sie steht ruckartig auf, hält seine Nähe plötzlich nicht mehr aus und verlässt die Küche. Die Zeitung und ihren Lieblingsstift lässt sie liegen.

Showing:

Ein erster Sonnenstrahl schafft seinen Weg durch das Fenster, im Garten zwitschern die Vögel. Anna sitzt im Pyjama in der Küche, pustet den Dampf von ihrem Kaffee und lächelt Nils an. Sie streckt die Hand über den Tisch. Nils ergreift sie, drückt sie kurz, lächelt zurück. Einen Moment lang halten sie den Blick. Der Duft der frisch gedruckten Zeitung vermischt sich mit dem des Kaffees. Das Papier der Zeitung fühlt sich weich an unter ihren Fingern. Sie blättert bis zum Kreuzworträtsel. Ihr kleines Ritual. Leise lächelnd hebt sie auf der Suche nach ihrem Stift den Kopf – und findet ihn in Nils’ Händen. Er hat begonnen, Kreise auf einen alten Einkaufsbon zu malen. 

»Nils«, sagt sie und zieht das i in die Länge. Er blickt hoch, sie zeigt auf den Stift. »Macht es dir was aus, einen anderen zu nehmen? Das ist mein Kreuzworträtselstift.« 

Nils zieht die Augenbrauen ein kleines bisschen zusammen. »Warum kannst du nicht einen anderen nehmen?« 

Anna beißt sich auf die Lippe. Natürlich könnte sie einen anderen Stift nehmen, denkt sie. Aber genauso gut könnte Nils es tun. Anna setzt sich ein bisschen gerader hin, zieht einen anderen Stift aus dem Stiftebehälter, legt ihn vor Nils auf den Tisch »Der schreibt fast genauso gut.« Sie lächelt.

Nils lächelt nicht. Im Gegenteil, die Falte zwischen seinen Augenbrauen wird tiefer, ein leichtes Zucken der Nasenflügel. »Dann nimm du ihn doch«, sagt er und schiebt den Stift zurück. 

Anna runzelt die Stirn, schiebt den Stift noch einmal über den Tisch, schüttelt den Kopf. »Das ist aber nicht mein Kreuzworträtselstift. Du weißt doch, dass ich das jeden Morgen mache, immer mit demselben Stift.«

»Tja, aber jetzt will ich mit diesem Stift Kreise zeichnen.« Er lächelt, aber in seinem Blick schimmert etwas Hartes. 

»Aber das kannst du doch auch mit dem anderen Stift.« 

»Nein, das ist jetzt mein Kreismalstift.«

»Nils«, Anna lässt langsam die Luft aus ihren Lungen entweichen, »warum kannst du mir nicht einfach den Stift geben? Der andere schreibt wie gesagt fast genauso gut. Ich verstehe das Problem nicht.«

»Anna«, sagt Nils im gleichen Ton, atmet im gleichen Tempo aus, imitiert sie perfekt. »Weil er eben nur fast genauso gut schreibt.«

»Aber es ist doch mein Kreuzworträtselstift.« Ihre Stimme ist plötzlich ein bisschen zu hoch, ein bisschen zu laut. 

Er zuckt mit den Schultern. »Dann mach dein Kreuzworträtsel eben später.« 

»Oder du zeichnest deine Kreise später.«

»Ich möchte aber jetzt Kreise zeichnen.«

Anna knallt mit der flachen Hand auf den Tisch, zuckt selber erschrocken zusammen, ihr ist plötzlich zum Schreien zumute. »Ich versteh nicht, was dein Problem ist!«, faucht sie, funkelt ihn an und kann gar nicht glauben, dass sie sich wegen so etwas Lächerlichem streiten. 

Einen Moment lang sitzen sie sich wie versteinert gegenüber. Nils Blick ist eisig, Anna verschränkt die Arme. Dann seufzt Nils auf einmal, die Falte zwischen seinen Augenbrauen glättet sich. Er reicht ihr den Stift. »Lass uns wegen so was nicht streiten, das ist doch albern. Da es dir ja offenbar so wichtig ist – hier. Ich kann meine Kreise wohl auch mit einem anderen Stift zeichnen.«

Steine poltern von ihrem Herzen, so laut, dass auch Nils sie hören müsste. Anstatt den Stift zu nehmen, steht sie auf, geht um den Tisch herum, setzt sich auf seinen Schoß und gibt ihm einen langen Kuss. »Danke.« 

Er streicht ihr das Haar hinters Ohr. »Na klar«, sagt er leise, hält ihr den Stift vors Gesicht, bis sie ihn nimmt, ruckelt dann ein bisschen mit den Beinen, damit sie aufsteht. Zurück auf ihrem Platz liest sie den Text im ersten Kästchen. Manipulation, vier Buchstaben. T am Ende.

»War eh nur ein Test«, sagt Nils plötzlich.

Ihr Kopf ruckt nach oben, sie sieht ein verstecktes Grinsen um seine Mundwinkel spielen. »Ein Test?«, krächzt sie, ein plötzlicher Druck im Brustkorb. 

Nils sieht sie nicht an, malt mit dem anderen Stift weiter seine Kreise. »Na ja, finde es interessant zu sehen, was Menschen bereit sind, denen zu geben, die sie lieben.« 

Ihr klappt der Mund ein bisschen auf. Die Steine sind wieder da, der Druck auf der Brust wird zum stechenden Schmerz, treibt ihr ein Brennen in die Augen. Sie blickt auf den Stift in ihrer Hand, ein bisschen verschwommen das Bild, schüttelt leicht den Kopf über die Situation.Nicht mal einen Stift kannst du ihm geben, denkt sie und legt ihn weg wie etwas, das zu viele Beine hat. Sie blickt Nils an, der gerade lächelnd an seinem Kaffee nippt, blickt nochmal runter auf ihr Kreuzworträtsel. Manipulation, vier Buchstaben. Sie runzelt die Stirn. Ein verdammter Test sollte das sein? Dann sagt sie: »Weißt du, was ich interessant finde zu sehen? Wie viel mehr dein blöder Test über dich aussagt als über mich!« Plötzlich ist da ein Drückgefühl in ihrem Magen, ein bitterer Geschmack füllt ihren Mund. Mit einem Ruck steht sie auf und verlässt die Küche. Das Kreuzworträtsel und ihren Lieblingsstift lässt sie liegen.

© privat

Patricia Schnippat studiert Philosophie und Politikwissenschaften. Neben dem Schreiben trinkt sie am liebsten Kaffee in der Sonne oder diskutiert in verrauchten Bars über Politik und Feminismus. Wenn beides nicht geht, verbringt sie ihre Zeit genauso gerne mit guten Büchern, Filmen und emotionalen Gesprächen bei langen Spaziergängen, die bald zum Abschied werden: Ende des Jahres wird sie in Dänemark einen Master beginnen, um zu lernen, auch auf Englisch über Feminismus zu reden.

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