Über die Suche nach Erinnerung und das Erzählen von Unerzählbarem

Foto: Privat

Von Henrieke Homburg

Eine Rückkehr in die Umgebung, die Sprache und die Zeit der Kindheit. Ein Wiedersehen zweier Freundinnen, deren Leben nicht zuletzt durch politische Entwicklungen Stück für Stück auseinanderdrifteten. In ihrem ersten Roman Fang den Hasen erzählt Lana Bastašić genau davon – oder vielmehr: lässt eine ihrer Protagonistinnen erzählen. Stetig thematisiert sie auf diese Weise die Konstruiertheit von Erinnerungen, die allzu menschliche Angewohnheit, Erinnerungen umzuschreiben, zu hinterfragen, in wohlgeformte Geschichten zu verpacken. Erinnerungen an eine scheinbar feststehende Vergangenheit stellen sich als subjektive Perspektiven heraus, sie beginnen zu bröckeln.

Im Falle von Sara und Leijla, die sich nach 12 kontaktlosen Jahren wiedersehen, scheinen dabei zwei Welten aufeinander zu treffen. Sara, die Schreibende, die, die Banja Luka, wo die beiden aufgewachsen sind, verlassen hat und nun ein Leben in Irland führt. Und Lejla, die in Bosnien geblieben ist, in Mostar als Kellnerin arbeitet, der Zahlen lieber sind als Worte und die kompromisslos und pragmatisch im Hier und Jetzt zu leben scheint. Die Saras Hingabe zum Erzählen und zur Sprache nicht nachvollziehen kann. Nun reisen sie gemeinsam durch den Balkan. Im Gepäck: Bruchstücke ihrer Kindheit, ihrer einst engen Freundschaft, ihrem Herkunftsort, und damit immer auch den Konflikten des zerfallenden Jugoslawiens, in dem sie aufgewachsen sind.

Bastašić schafft es, immer wieder feine Rückbezüge zu spinnen und anhand der Einzelgeschichten ihrer Protagonistinnen auch Aufschluss über die Geschichte des Landes, in dem sie aufwuchsen zu geben. So eröffnet sie in ihrem Debüt eine intensive Auseinandersetzung mit kultureller Identität und ihrer Abhängigkeit von Sprache sowie dem Umgang mit und Verdrängen von Erinnerungen. Der Road Trip der beiden ungleichen Freundinnen rückt dabei die Verschiedenheit ihrer Erfahrungen ins Bewusstsein. Während Sara als Tochter des Polizeichefs aufwuchs, musste Lejlas Familie ihren Namen ändern um ihre bosniakische Herkunft zu verschleiern. Aus Lejla wurde Lela. Als in der Stadt eine Reihe von Hunden umgebracht wurde, wurde unter anderem ihr älterer Bruder Armin dafür mitverantwortlich gemacht – und verschwand kurz darauf. Viele Jahre später wird der Anhaltspunkt, er sei nun in Wien, er sei wieder aufgetaucht, zum Grund der Reise der beiden Freundinnen.

Diese Bruchstücke setzen sich im Verlauf des Romans nach und nach zusammen. Aus der Perspektive Saras verfasst, besteht jedes Kapitel aus einer Episode der Jetztzeit, gefolgt von ihren Erinnerungen an die gemeinsame Kindheit und Jugend, vor allem Beschreibungen ihrer Freundin Lejla. Durch diese Perspektive und den Modus des Schreiben-Über eröffnet sich das Erzählen selbst als inhaltliche Dimension. Seine kulturelle Bedeutung wird mit ebenso viel Nachdruck thematisiert wie seine Grenzen. Doch so konsequent sich Lejla auch gegen die Worte und die Geschichten ihrer Vergangenheit zu sträuben versucht – am Ende scheint auch sie sich nicht ganz von ihnen lösen zu können.

Fang den Hasen, Lana Bastašić, 2021, S.Fischer, 336 Seiten, 22€

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