
Von: Sina Ulbricht
Der lichtgeflutete Saal der Stadtbibliothek ist am Abend des 03. Novembers gefüllt von herzlichem ehrlichem Lachen, als Terézia Mora im Rahmen der globale° ihr Publikum nicht auf gedruckten Seiten, sondern in Präsenz in den Bann zieht. Auf der Leinwand im Hintergrund der Bühne prangt ein großes Foto von der lächelnden Schriftstellerin, davor sind zwei Sessel platziert, auf denen es sich Katrin Krämer und Terézia Mora für über eine Stunde bequem machen. Es werden viele einzelne Tagebucheinträge von der Autorin vorgelesen, die alle Themen des neuen Romans Fleckenverlauf ansprechen: Themen der Herkunft, des Berufslebens einer Schriftstellerin und Fragen nach einem Sinn und nach dem Glück. Diese Fragen werden an diesen Abend in den Raum geworfen und so ehrlich und lebensnah von Terézia Mora beantwortet, dass der ganze Saal Teil ihres Fleckenverlaufs wird.
Schon bei der ersten Frage geht ein Schmunzeln und Lachen durch die Reihen des Publikums. Es geht um das kürzlich erworbene Verdienstkreuz am Bande, das Terézia Mora nun als ihr Eigen bezeichnen kann. Sie verstünde selbst nicht, warum sie den Preis gewonnen hätte und beschreibt humorvoll das vielseitige Publikum dieses Abends. Die Selbstironie wirkt weder aufgesetzt noch fehl am Platz, sondern vielmehr sympathisch. Wieder steht der Wert der Menschlichkeit ganz groß auf der Bühne und nimmt zwischen den Stuhlreihen im Publikum Platz.
Ein großes Thema dieses Abends ist Ungarn, vor allem Terézia Moras Heimatdorf. Sie spricht vom anders sein. Anders, weil man liest, weil man Deutsch sprechen kann und weil man danach strebt, ein normales Leben zu führen in einem rechtsorientierten Land. Sie bezeichnet sich und ihre Mutter als „die Leserinnen“ in diesem Schauspiel, spricht von Momenten in der Schule, in denen sie für dieses Anderssein kaum Zuspruch bekam und in denen die junge Terézia Mora für das Sie-Selbst-Sein verurteilt wurde. Trotzdem oder gerade deshalb hatte sie schon als Kind nicht nur die Schulhefte bei sich, sondern füllte auch Seiten für sich selbst, entlud ihre Gedanken in Buchstaben. Sie schrieb auf Deutsch, sodass ihre Mitschüler trotz der Versuche nicht Herrscher dieser Zeilen werden konnten. „Sie hatten ja kein eigenes Leben“, erinnert sich die Autorin zurück. Sie lässt den Saal mit einem Raunen aufatmen, als sie aus Fleckenverlauf den Tagebucheintrag vom 30.12.2015 vorliest: „Ich habe die Ungarn aufgegeben.“ In ihrem Gesicht spiegelt sich genau die Erleichterung ab, die auch in ihrem Buch zwischen den Zeilen geschrieben steht.
Und trotzdem bleibt die Frage, wie sehr Terézia Mora als Übersetzerin noch im Ungarischen Zuhause oder doch eher zu Besuch ist. Terézia Mora hat in Ungarn gelebt, das ist eine Tatsache. Als junger Mensch passte sie sich sprachlich an und wird ein Leben lang ein Ungarisch ihrer Generation sprechen, das ist eine Tatsache. Tatsache ist auch, dass Ungarn nun nicht mehr ihr Wohnort ist und damit kaum noch durch Alltagsquellen am Leben gehalten wird. Sie erzählt, sie fühlt sich im Deutschen alleine schon deshalb heimisch. Für die Autorin ist dabei aber vor allem Eines Tatsache: Sie ist Ausländerin, hier als auch dort. Das nimmt sie ganz nüchtern, ohne Bedauern, ohne Freude – es ist wie es ist. Das und das Ich-Sein bleibt aus Ungarn zurück: „Was du nicht verlieren kannst: die Herkunft.“ [Fleckenverlauf, S. 121] schrieb sie schon in ihrem Buch. Sie will sich nie wieder verstellen, dem bleibt sich die Autorin in ihren Tagebucheinträgen und auch in der Lesung treu. Terézia Mora lässt sich nicht den Mund verbieten.
Katrin Krämer lässt die Lesung ausklingen mit Fragen zu Terézia Moras Schreiben. Fleckenverlauf entstand in der wohl bisher schwierigsten Phase im Leben der Autorin, in der die befürchteten Vierziger viel zu schnell auf die Fünfziger zugehen. „Mit 50 ist es vorbei.“, berichtete man der Autorin. Dieser Gedanke blieb wie ein Schatten an Terézia Mora kleben, blieb immer im Hinterkopf. Fleckenverlauf wurde so zu einer Rettung und legte Wolken vor die Sonne, sodass der Schatten verblasste. Denn dafür sind Tagebücher da, erzählt die Autorin ihrem Publikum, dem Leben einen Sinn geben und als eine Erinnerung an sich selbst, dass man was erlebt hat. Erleben bedeutet Glück und Unglück, das lehrt uns die Schriftstellerin immer wieder, denn Glück ist und bleibt unberechenbar und Tagebücher schreiben bedeutet, „sich daran zu erinnern, dass man ein Leben hat.“.
Am Ende der Lesung wird klar, was Terézia Mora als Schriftstellerin so besonders macht und warum man meint, dass die Sprache nicht dieselbe wäre, würde Terézia Mora nicht stets damit zaubern. Schon als Kind schrieb sie, heute beweist sie immer wieder, dass es immer noch funktioniert. Am besten unter Druck, wie sich die Autorin eingesteht, denn so funktioniere sie am besten. Der wirtschaftliche Druck hinter dem Schreiben, das Geld, das verdient werden muss und die Bücher, die für die Verlage wie am Laufband produziert werden müssen, lösen bei Terézia Mora keine Schreibblockade aus, eher im Gegenteil, ist es Teil ihres Erfolgs. Auch das Übersetzen mag Zeit nehmen, genauso sehr eröffnet es aber auch neue Tore zur Sprache. Vormittags taucht Terézia Mora ab in die Welt ihrer Figuren und lässt sie tanzen, mittags beginnen die stressigen Dinge wie Emails, Reden usw. und abends lässt die Autorin den Tag gerne mit Übersetzen ausklingen, als Etwas, das man im Schlaf kann.
Die Lesung glänzt alles in allem mit einer erfrischenden Kombination aus Ehrlichkeit und Lachen in einer ausgeglichenen Woge. So wie die Schriftstellerin manchmal auf der Rückseite des Lebens steht, durfte das Publikum an diesem Abend Terézia Moras ehrlichstes Ich in vollen Zügen genießen.