Zwei

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Von Carla Bühl

Dieser Text ist im Creative Writing Seminar „Familiengeschichten“ im Wintersemester 2022/23 unter der Leitung von Leyla Bektaş entstanden. Es ging in diesem Seminar darum, einen Raum und eine Form für die eigenen Erinnerungen, mit Familienbezug, zu schaffen. Ob es sich dabei um die eigene Familie handelte, oder um eine erdachte, war nebensächlich. Mithilfe von Erinnerungstechniken wie Selbstbefragungen und Fotos aus dem Familienarchiv sind Texte entstanden, die sich irgendwo zwischen Fiktion und Autofiktion bewegen – so wie auch dieser.

Am Zenit des Sommers war es so heiß, dass wir fast jeden Nachmittag nach der Schule schwimmen gingen oder uns mit dem Wasserschlauch abspritzten. Auf dem Schulweg fanden wir immer einige Bienen, die ausgedörrt auf dem warmen, tonroten Steinboden der Wohnanlage des Altenheims lagen. Wir tränkten die verdurstenden Insekten mit Zuckerwasser, das wir zuhause anrührten. Danach gingen wir in den Garten oder ins Kennelbad bei der Oker. Das war das Ritual. 

Rosas Vater hatte einen Terassenausgang, deswegen ging das mit dem Wasserschlauch vor allem dort. Wir stolzierten barfuß durch das Wohnzimmer von Alek. Ich sagte Fack, weil ich keinen Badeanzug dabei hatte. Ich hab keinen Badeanzug dabei, sagte ich zu Rosa, während sie sich auszog, und sie sagte, ist doch egal, wir machen nackt. An Rosa war schon alles dran. Immer, wenn sie in Unterhose vor mir stand, sah ich auf ihre Beine, die Schenkel berührten sich, der Gummizug der Unterhose schnitt ihr in den Bauch. Sie hatte einen Po, der wackelte, wenn sie ging. Besonders schön fand ich Rosas Brüste, es waren zwei spitz zulaufende Hubbel, die auf und ab wippten. Wenn sie die Arme streckte, sah ich Haare in kleinen, hellbraunen Büschelchen. Sie roch immer gut. Sie hatte ein Erwachsenenbecken und wenn sie vor mir auf Klo ging, sah ich, dass sie auch an ihrer Scheide dunkelbraune Haarbüschelchen hatte. Ich war neidisch auf die ganzen Büschelchen und auf die spitzen Brüste, die schon in einen Büstenhalter passten, mit Spitze und Metallbügeln. 

Nackt machen war eigentlich nicht schlimm, aber Alek war Rosas Vater und ich wollte nicht, dass er sah, dass Rosa schon alles hatte und ich nichts. Ich sagte nein und Alek sagte, na komm, euch kann niemand was weggucken. Ich dachte, mir kann niemand was weggucken, weil ich nichts hatte, die Jungs sagen, man ist platt, und ich grub meinen Zeh in den weißen, kreisrunden Teppich vor dem roten Sofa, auf dem er saß. Alek war irgendwie auch ein Junge. Ich kniff mir in den Hals, dass es wehtat und in meiner Speiseröhre drückte und Rosa ging in den Garten. Die Wohnung war hell und hölzern und leer. Alek hatte keine Freundin und mein Vater hatte auch keine Freundin und ich hätte auch nicht verstehen können, wer meinen Vater gewollt hätte. Aber Alek war viel jünger und er hatte eine Brille, die nicht störte sondern sein Gesicht richtig komplett machte, und er hatte schöne Arme, dachte ich, für einen Vater. Mir war von innen heiß, weil ich keinen Busen hatte und Alek es gleich sehen würde, er würde darüber nachdenken, obwohl er ein Vater ist. Ich fand die Vorstellung eklig, dass Väter es irgendwann bemerken mussten, wenn ihre Töchter einen Busen kriegten, weil die den Busen von anderen Frauen gut fanden und die Beine. Rosa riss die Terassentür auf, komm jetzt, zieh dich aus, befahl sie, wir spielen Eckenkönig oder was du willst.