Erzählen, Sprechen und Lautsein

Foto: privat

von Anna Schott

An einem Donnerstag stehen auf einer Bühne vier kleine, quadratische Tische aufgereiht nebeneinander, bestückt mit Lampe, Mikrofon und Wasser; die Publikumsreihen des kleinen Hauses füllen sich. Doch bevor auch auf der Bühne jemand erscheint, eröffnet ein Lied in einer mir fremden Sprache, das plötzlich im Saal ertönt, den Abend.

Im Rahmen der Reihe Erzählte Identität wurde Shida Bazyar dazu eingeladen, am Theater Bremen aus ihrem 2016 veröffentlichten Roman Nachts ist es leise in Teheran zu lesen und über diesen zu sprechen. Er ist aktuell Bremer Abiturstoff, und am nächsten Vormittag wird es noch eine Veranstaltung mit Schüler*innen geben – was einige von ihnen jedoch nicht davon abgehalten hat, bereits heute Abend anwesend zu sein. So erwartet ein ziemlich gemischtes Publikum die Autorin, die zunächst allein auf die Bühne kommt, sich an einen der vier Tische setzt und zu lesen beginnt.

Es ist ein kurzer Text, der vom Schweigen und vom Sprechen handelt, von Identität und von Namen – und dem Gedicht مرگ نازلی (Nazlis Tod), das der Lesung musikalisch vorangestellt war. Es stammt vom iranischen Dichter Ahmad Shamlou, der damit seinem Freund Vartan Salakhanian ein, der im Gefängnis gefoltert und ermordet wurde, weil er aus Solidarität zu seinen Genossinnen schwieg, ein Denkmal setzte. Shida Bazyar liest von der Option, einen Text zu schreiben, der nicht die eigene (Herkunfts-)Geschichte zu einer Geschichte macht, frei von politischen Komponenten und Persönlichem – und der Frage nach dem Nutzen dessen. Und sie spannt den Bogen in die Gegenwart, zu schon und wieder gefüllten Gefängniszellen und den Namen derer, die seit 2022 durch das iranische Regime ermordet wurden.

Auf diesen ersten Teil des Abends, in dem auch die Moderatorin Ina Schenker dazukommt und ein erstes Gespräch mit der Autorin führt, folgt die szenische Lesung des Romans, aufgeteilt auf vier Leserinnen. Die Schauspielerinnen Irene Kleinschmidt, Lisa Guth und Judith Goldberg nehmen an den übrigen drei Tischen Platz, der Raum verdunkelt sich, und unterstützt durch Shida Bazyar selbst tragen die verschiedenen Stimmen die Zuhörerinnen durch den Roman. Die Vierteilung greift die Struktur des Textes auf, der aus vier Perspektiven und über vier Jahrzehnte die Geschichte einer deutsch-iranischen Familie schildert, und bricht die oft sehr eindimensionale Situation einer Lesung auf: die Stimmen wechseln sich immer wieder ab, und im Hin-und-Her schaffen sie es, den Roman und seine Figuren an diesem Abend ein stückweit zum Leben zu erwecken.

Die Stimme ist letztendlich das, was sich wie ein roter Faden durch den ganzen Abend webt, denn das Erzählen, das Sprechen und Lautsein ist, was immer wieder zum Vorschein kommt, ob in den gelesenen Texten, die immer auch autobiographische Züge tragen, oder auch losgelöst davon: Literatur kann auch im Aktivismus eine wichtige Rolle spielen. Dies wird besonders eindrücklich, als Shida Bazyar von einem Brief erzählt, den sie 2022 in der Süddeutschen Zeitung veröffentlicht hat und der in den sozialen Medien vervielfältigt und unter anderem auf Demonstrationen vorgelesen wurde. So schafft es die Literatur, Worte zu finden, die andere weitertragen können, Bausteine zu erschaffen, die demokratisch weitergetragen werden können. Und auch als Shida Bazyar Raum für einen Appell an das Publikum gegeben wird, ruft sie dazu auf, die eigene Position dafür zu nutzen, die Proteststimmen zu verstärken: auf die Morde und Handlungen des iranischen Regimes hinzuweisen, Stimmen von politisch gefährdeten Aktivistinnen in Iran in den sozialen Netzwerken zu teilen und Verantwortung zu übernehmen. Im anschließenden Publikumsgespräch wird die Autorin gefragt, was der Roman Schüler*innen mitgeben kann, und auch hier spannt sich der Bogen zur Wirkungskraft der Literatur: in Erzählungen von Grenzüberschreitungen, wie etwa der Frage nach der Herkunft, können sich junge Leser*innen wiederfinden und erkennen, dass sie nicht allein sind – und darüber hinaus mitnehmen, dass auch ihre Erlebnisse und Gedanken es wert sind, geteilt und erzählt zu werden. Ich verlasse den Saal nach knappen anderthalb Stunden mit dem Gedanken, dass sich der Abend dem Thema der erzählten Identität wirklich vielschichtig genähert hat, und vielen Denkanstößen. Danke dafür, Shida Bazyar!

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