Von Ana Hogue
Das Buch Restaurant Dalmatia, geschrieben von der deutsch-kroatischen Schriftstellerin Jagoda Marinić, Tochter kroatischer Einwanderer aus Dalmatien, erzählt die Geschichte der 38-jährigen Mia. Mia Markovich, geborene Mija Marković, Tochter eines kroatischen Gastarbeiters in Berlin-Wedding, ist eine Frau mit zwei Vor- und Nachnamen, mit verschiedenen Herkunfts-, Geburts- und Wohnorten und sie sucht ihre Identität, ihre Kindheit, ihre Heimat. Ihr Leben ändert sich ständig, genauso wie die Buchstaben in ihren Vor- und Nachnamen. Thema ist ihre zweiwöchige Reise von Toronto nach Berlin und später nach Dalmatien. In Toronto steht Mias Leben trotz ihrer erfolgreichen Karriere still. Sie begibt sich auf die Reise in ihre Vergangenheit, um in ihrer Zukunft weiterleben zu können. Angekommen in Berlin stellt sie fest, dass sich alles weiter entwickelt hat, außer ihrem Zufluchtsort der Kindheit, dem Restaurant Dalmatia, das von Ihrer Tante Zora geführt wird. Es stellt sich heraus, dass zwischen ihr und ihrer Familie eine unsichtbare Mauer errichtet worden ist. Eine Mauer, wie einst auf dem Foto, das sie als Kind mit der Polaroid-Kamera ihrer Eltern heimlich geschossen hat. Die zwei vertrauten Personen, Zora und Jesus, begleiten Mia auf ihrer mentalen Reise zwischen den verschiedenen Ländern, Städten, Kulturen, Zeiten, Mentalitäten und Religionen.
Leitmotiv des Romans ist die Mauer. Damit ist nicht nur die historische Berliner Mauer gemeint, sondern auch eine Mauer in zwischenmenschlichen Beziehungen. Die Berliner Mauer etabliert sich im Buch als nationaler Erinnerungsort und darüber hinaus als symbolische Bedeutung für die latente Grenze, die sich unter Einwanderern und Deutschen und unter eigenen Familienmitgliedern konstituiert. Die Suche bekommt für die Protagonistin eine besondere emotionale, identitätsstiftende Bedeutung. Die Thematik der Migration wird im Buch sehr präzise repräsentiert. Man findet sich wieder, indem man versucht, eigenes Kulturerbe zu bewahren und auf dieses aufzubauen: „Natürlich kannst du dich neu erfinden. Aber nur aus dem Stoff, den du zur Verfügung hast.“
Der Roman wird in 16 Kapitel erzählt, aufgeteilt in verschiedene Orte und Zeiten. Mit ihrer besonderen Art zu erzählen gelingt es der Autorin, den Inhalt vielseitig darzustellen: poetisch, in Dialogen, im Klartext. Redewendungen auf Kroatisch und auf Englisch machen das Erzählen natürlich und authentisch. Das Buch erinnert an eine georgische Ballade über eine Maus, die mit ihrem Dasein unter der Erde unzufrieden ist. Sie möchte unbeschränkte Freiheit und strebt danach, unter dem blauen Himmel zu schweben. Nach beständigem Beten beschert ihr Gott Flügel. Bei ihrem ersehnten Flugversuch wird sie von den Vögeln nicht wahrgenommen. Zurück zuhause wird sie auch von den Mäusen nicht mehr akzeptiert, weil sie ihre Sippe verraten hat. Seitdem sieht sie wie eine Maus aus und fliegt wie ein Vogel, aber ist keins von beidem, sondern eine Fledermaus, die nachts fliegt und tagsüber mit den Krallen in einer Hölle kopfüber hängt. Die Gesellschaft um Mia herum ist nicht reif, Rassentrennung und kulturelle Vorurteile zu bewältigen. Die Einwanderer, die die kollektiven Erinnerungen an Unterjochung in ihrem eigenen Land zu vergessen versuchen und in einem fremden Land ein neues Zuhause gefunden zu haben glauben, bemühen sich, sich anzupassen und Bindungen zu erzeugen. Am Ende schafft es Mia, ihre eigene Brücke zu bauen und auf dieser zu stehen.
Jagoda Marinić: Restaurant Dalmatia, Hoffmann und Campe, 2013, 19,99 Euro
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