Geisteskrank und heimatlos

Ein Gespräch mit Dimitrij Wall

 

Herr Wall, wo lebt es sich schöner: Im Osnabrücker Umland, da wo Sie groß geworden sind, oder in Berlin, Ihrem jetzigen Lebensmittelpunkt?

Beides hat seine Vorzüge. Zum einen bin ich gerne bei einem Kumpel in der Nähe von Osnabrück, der dort einen Bauernhof gekauft hat. Dort lebt es sich sehr gut, aber länger als zwei Wochen halte ich es dort nicht aus. Dafür bin ich dann doch mittlerweile zu sehr Berliner.

Wenn man Ihre Biografie mit den Geschehnissen in Ihrem Roman vergleicht, werden Parallelen ziemlich schnell offensichtlich. Ist das Buch somit auch in gewisser Weise Ihre Geschichte?

Ja, definitiv. Aber es ist natürlich auch ein literarisches Werk, das zudem sehr provokant ist. So provokant sogar, dass ein ehemaliges Hamburger Nachrichtenmagazin behauptete, es sei konstruiert. Das ist es aber nicht, denn das Leben des Protagonisten ist ein Leben von der Sorte, wie ich es gelebt habe.

Wie kam es denn eigentlich zu der Möglichkeit, dass Sie einen Roman schreiben durften?

Die Möglichkeit hat im Grunde genommen jeder.

Aber auch, dass dieser veröffentlicht wird?

Mein Vorteil war, dass ich die Geisteskrankheit hatte, dass ich glaubte, die Leute würden meine Geschichte lesen wollen. Ich war nämlich immer davon überzeugt, dass meine Geschichte es wert ist, erzählt zu werden. Aber die Möglichkeit, diese in einem Verlag zu veröffentlichen, bekam ich erst, nachdem ich in einem Magazin einen Artikel über meine Zeit als Handyverkäufer veröffentlichte, woraufhin sich einer der größten Verlage Deutschlands bei mir meldete. Zu dem Zeitpunkt hatte ich bereits 50 Seiten geschrieben, die denen aber nicht gefallen haben und daraufhin kontaktierte ich drei andere Verlage, von denen ich mich dann für den für mich am sinnvollsten entschieden habe. Der Eichborn Verlag hat mir also letztendlich bestätigt, dass ich nicht nur an einer Geisteskrankheit leide, sondern tatsächlich auch schreiben kann.

Und das ja scheinbar so gut, dass Sie ein zweites Werk veröffentlichen werden. War es denn immer schon Ihr Traum, Schriftsteller zu werden?

Es war sogar definitiv mein Plan, auch wenn ich nichts in Richtung Literatur studiert habe. Was man braucht, ist von sich selbst überzeugt zu sein. Denn um sich vor eine Gruppe von fremden Leuten zu setzen und seinen Stoff so vorzulesen, dass diese das glauben, dafür ist Selbstbewusstsein unumgänglich.

Und worum geht es in Ihrem zweiten Werk?

Da dieses noch nicht fertig ist, möchte ich mich eigentlich nicht dazu äußern. Nur so viel: Es wird definitiv etwas anderes werden als „Gott will uns tot sehen“.

Sie schreiben also gerade an Ihrem zweiten Roman, haben studiert und arbeiten als Journalist. Würden Sie sagen, Sie haben es im Gegensatz zu den Figuren in Ihrem Roman „geschafft“, weil sie fernab von der gefürchteten Fabrikarbeit arbeiten, von der Sie in Ihrem Buch berichten?

Dazu muss ich vorab sagen, dass ich es nicht ablehne, in einer Fabrik zu arbeiten, sondern es mir eher darum geht, dass ich ein glückliches Leben führe. Man kann auch in einer Fabrik arbeiten und zufrieden sein, wenn das eben die Möglichkeiten sind, die man hat. Man muss also nicht unbedingt Schriftsteller oder Journalist werden, um glücklich zu sein. Es ist schwierig, glücklich zu werden, aber das ist das, was der Protagonist will. Die Erfahrung, was einer will, muss aber jeder selber machen. Gerade Berlin zeigt, dass Leute auch ohne Schulabschlüsse gute Ideen haben, Läden eröffnen und glücklich sind.

Berlin ist Ihr neuer Wohnort, aber geboren sind Sie in Kasachstan. Ist Kasachstan somit ihre Heimat?

Nein, ich empfinde Kasachstan nicht als Heimat. Russland ist eher meine Heimat. Meine Mutter ist Russin, ich spreche russisch, kein kasachisch und als ich damals dort geboren bin, war es die Sowjetunion und alle haben russisch gesprochen. Zwar habe ich die kasachische Staatsbürgerschaft und es leben noch Verwandte von mir dort, aber ansonsten habe ich nach da keinen Bezug mehr.

Und wenn Sie sagen, dass Russland Ihre Heimat sei: Was bedeutet Heimat für Sie?

Sagen wir mal so: Manchmal mache ich russische Musik an und denke mir, dass dies meine Heimat sei. Dann aber sehe ich, wie in Russland bestimmte Sachen geschehen und denke mir, dass ich eher in Deutschland zu Hause bin. Vielleicht ist Deutschland sogar mein Zuhause geworden, aber eine Heimat habe ich nicht. Wann ist man zu Hause? Wenn man sich wohl fühlt. Und das kann mal hier und auch mal dort sein.


Das Interview führte Helge Hommers

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