04.11.2015, 19.30 Uhr | Rangfoyer des Bremer Theaters | Barbara Honigmann: Chronik meiner Straße, 2015
Ich habe Ihr Buch sehr genossen, ich fand’s schön, wie sie beobachten. Mir ist aufgefallen, dass es ab und zu Formulierungen gibt wie z.B. „die Stämme“, die die LeserInnen und Leser eventuell als politisch inkorrekt bezeichnet könnten. Hat es Sie Überwindung gekostet, das trotzdem so zu schreiben?
Nein, nicht wirklich. Das ist auch ironisch, ist ja keine soziologische Untersuchung, sondern eine Beschreibung. Wie gesagt, diese Leute, der Stamm, die wirken so wie ein Stamm und treten als Stamm auf und dann nenn ich sie auch so. Ich finde das komisch (lacht).
Chronik meiner Straße ist ja auch ein Stück weit ein autobiographisches Buch und Sie haben eben im Interview mit Lore Kleinert gesagt, dass Sie ihre eigene Identität durch das Schreiben nochmal reflektieren. Inwiefern ist denn dieses literarische Ich in dem Buch anders als Ihr eigenes Ich als Autorin?
Naja, als Mensch bin ich viel chaotischer und viel inkohärenter, viel ungeformter und viel diffuser. Das ist ja nur eine Seite von mir und was da erscheint ist ja etwas, was ich geformt habe. Da ist viel von mir drin, aber das ist ja dann etwas geworden, was auch von mir unterschieden ist.
Ganz am Ende des Buches behandeln Sie die Gentrifizierung der Rue Edel, die Sie auch irgendwie negativ bewerten, weil damit anscheinend auch verbunden ist dieser kulturelle Austausch, den Sie ja eher kritisch sehen, dass Sie eher für eine Multikulturalität sind, also ein Koexistieren, und diese Gentrifizierung scheint eher von außen, aus dem „richtigen Frankreich“ wie Sie es im Buch nennen, zu kommen. Was meinen Sie, was das jetzt mit der Straße macht? Haben Sie da eine Prognose?
Ich möchte das ein bisschen differenzieren. Es gibt sozusagen eine Gentrifizierung im schlechten Sinne, dass jetzt einfach alles aufgemöbelt wird, dass die Leute rausmüssen, die da eigentlich leben, und dass eine ganz bestimmte Schicht wiederkehrt, die besser verdient und möglichst weiß ist. Das muss aber vielleicht nicht so sein. Ich finde es auch nicht in Ordnung, wenn Gentrifizierung etwas rein pejoratives ist, dass man irgendwelche runtergekommenen Straßenzüge mal wieder in ordnung bringt. Diese Sozialbauten, von denen ich im Buch spreche, die haben sie ja zum Beispiel sehr schön renoviert und Bäder eingebaut. Ich glaube, dass es einfach nur wichtig sein müsste, dass es dann nicht einen vollkommenen Bevölkerungsaustausch gibt und dann da eben plötzlich nur noch Besserverdienende leben, dass es nicht nur ethnisch sondern auch sozial dann überhaupt keine Mischung mehr gibt. Nur in diesem Sinne fände ich das negativ. Und was schön ist, die haben dann auch einfach Wohnungen in WGs aufgeteilt und da gibt es eben studentisches Publikum und so ist das eine sozial und ethnisch vermischte Gegend und das ist, glaube ich, ganz schön.
Vielleicht zum Schluss noch eine kurze Scherzfrage: Wie hat Ihnen als Theaterperson denn die Stehlampe auf der Bühne gefallen?
Als ich kam gab es überhaupt kein vernünftiges Licht und ich hab gesagt, ich brauche Licht und dann ist mir letztendlich egal welcher Art. Also ohne Brille kann ich überhaupt nicht lesen und auch mit Brille brauche ich Licht. Dann hab ich gesagt, ich muss Licht haben und dann haben sie diese Stehlampe irgendwoher gebracht. Joa, sieht nett aus. Sieht ein bisschen wohnzimmermäßig aus, aber ist ja nicht so schlimm (lacht).
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Das Interview führte ALEX KIND
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