In Prag steht ein orangefarbenes Haus und birgt ein Geheimnis. Unter den Mauern des Hauses befindet sich ein Archiv; eine Lagerstätte von Schachteln und Büchern, Notizen und Fotografien. Sie wurden gesammelt, um Zeugnis zu geben, von der Gewalt, die auf der ganzen Welt und tagtäglich Frauen angetan wird.

von Verena Bracher
Ein Beitrag zur Geschichte der Freude lautet der Titel des Romans der tschechischen Schriftstellerin Radka Denemarková – doch die Geschichten, die sie in dem Roman sammelt, sind die des Schreckens. Nach dem vermeintlichen Selbstmord eines reichen Geschäftsmanns begegnet der Ermittler in seinen Nachforschungen drei älteren Damen und entdeckt in ihrem Haus ein Archiv, das ein Dokumentationszentrum der Gewalt an Frauen ist. Freude, das Wort ist in goldfarbenen Lettern auf dem pastellgrünen Buchumschlag zu lesen – Freude, das ist der Genuss der Sexualität. Doch die drei älteren Frauen in dem Roman – eine Schriftstellerin, eine Filmemacherin und eine Yogalehrerin – sie sammeln Geschichten, in denen Sexualität von Gewalt und Zwang geprägt ist.
Denemarková macht zum Thema, was längst Thema sein sollte und eigentlich irgendwie auch schon immer war, aber meist hinter verschlossenen Türen, mit vorgehaltener Hand und im Flüsterton. Sie bedient sich der Geschichten, die die Realität schreibt, denn ihr fiktives Archiv beinhaltet erschreckend reale Geschehnisse. Es dokumentiert ein Massenschicksal, das sich durch alle Zeiten und Räume zieht und erzählt von Gruppenvergewaltigungen, Kriegshandlungen und Zwangsprostitution. Denemarková schildert dies alles in einer vor Metaphern und Personifikationen strotzenden Sprache; wie in einem expressionistischen Gemälde präsentiert sie die Welt mit bunten, intensiven Farben. Nicht die Ereignisse der Handlung tragen den Roman, sondern die starken Emotionen und Körperreaktionen, die Denemarková den Lesenden aufmalt – Ekel, Erregung, Überwältigung, Wut, Mitgefühl, Angst, Scham.
Durch alles Geschehene zieht die Figur der Schwalbe ihre Spur, Schwalben tummeln sich auf dem Buchumschlag, sie finden sich in jedem Kapitel und in fast jedem Abschnitt. Sie sind die Beobachter alles Geschehenen, ihre Vogelkörper eine Metapher der drei alten Frauen, der Blick aus der Vogelperspektive wird zur Dokumentation der Geschehnisse, das Ausbreiten der Flügel zum Symbol des Widerstands gegen und des Überwindens von den Traumata der Vergangenheit. Neben den Schwalben tummeln sich auch Falken zwischen den Zeilen, und Krähen und Tauben und Buchfinken. Sie alle stehen für eine Art des Umgangs mit sexueller Gewalt.
Die Lesenden folgen dem Ermittler bei seinem Gang durch das orangefarbene Haus, sehen ihm bei der Entdeckung des Archivs über die Schulter, werden mit dem sexuellen Begehren des Ermittlers konfrontiert, das sich mit dem Entsetzen über all die Gewalt kontrastiert. Sie begleiten die drei Damen in ihren Versuchen, die Welt ein Stück zu verändern, zu helfen, und fühlen ihre Wut, wenn sie gegen Wände aus Verleugnung, Scham und maskuliner Selbstverständlichkeit anrennen. Denemarková verdichtet Bilder von Traumata, Bewältigung und Freude und verbindet sie in einem intensiven, fast lyrisch anmutenden Farbbild.
Radka Denemarková, Ein Beitrag zur Geschichte der Freude, Hoffmann und Campe Verlag, Hamburg 2019.