
Finden, was zu lange versteckt war. Freilegen, was zu lange verborgen lag. Die Mauern sichtbar machen, die einst das Zentrum einer Hochkultur umringten. Besteht das Fundament der Zivilisation am Ende nur aus profanem Stein? Welche Geheimnisse offenbaren sich den Archäologen, wenn sie die Ruinen einer längst vergangenen Zeit freilegen? Welche Bedeutung haben die Funde für unser Leben? Für unsere Gegenwart?
Rezension von Sarah Stoffels
In der sengenden Hitze des Zweistromlandes gräbt der Archäologe Robert Koldewey Anfang des 20. Jahrhunderts die versunkene Stadt Babylon aus. Eine Stadt von biblischer Bedeutung, in deren Mitte ein Turm von himmlischem Wert steht. Die Ruinen jener Stadt offenbaren Geheimnisse der Geschichte, der Wissenschaft und des Christentums.
Faktenreich erzählt Kenah Cusanit in Babel die Umstände von Koldeweys Ausgrabungen. 1913 läuft er über die frei gelegten Mauern der Stadt, die ungeachtet bürokratischer Hürden und politischer Spannungen wieder ans Sonnenlicht gelangten. Die Autorin bricht die Legende um den Turmbau zu Babel auf und setzt an ihre Stelle eine Vielzahl von steinernen Fakten.
„Auch vom Turm zu Babel war allein ein Grundriss geblieben, nach Jahrhunderten des Neubaus, Umbaus und Abbaus. Und sein Name, der sich auf den Standort des Turms bezog. Babylon. Anfang des 20. Jahrhunderts erinnerte an Babylon einzig ein Hügel, der sich aber nicht in der Stadt selbst, sondern an einem ihrer nördlichsten Ausläufer befand und dort in einer in jedem Sinne randständigen Existenz ihren Namen bewahrt hatte: Babil.“ (S. 69)
Wie die Mauern Babylons steht auch Cusanits Text starr an seinem Platz. Er zeigt eine Momentaufnahme, eine Fotografie des Geschehens. Auf einen großen Spannungsbogen wird verzichtet. Stattdessen setzt das Buch ein Sammelsurium an Eindrücken und Überlegungen zusammen. Der Protagonist lässt seine Gedanken in die Vergangenheit schweifen und hüpft dann wieder zurück. Dem Leser bleibt nichts anderes übrig, als hoch konzentriert den Sätzen zu folgen, sonst wird er abgehängt.
Cusanit skizziert den Mythos Babylon mit großen Worten, die der Bedeutung des Ortes sicherlich gerecht werden, es dem Leser aber schwer machen, sich in die Geschichte hineinziehen zu lassen. Dennoch fühlt man mit dem Protagonisten mit, der alles und jeden, den er sieht, auf humorvolle Weise verurteilt. Gekonnt werden verschiedene Themen wie das Verhältnis von Orient und Okzident, der Kolonialismus und politische Machtfantasien, die kurz vor dem Ersten Weltkrieg über die Erde ragen, in die Geschichte eingewoben. Cusanit erzählt auf kurzweilige Art von der Ausgrabung einer der bedeutendsten Zivilisationen, die im rauen Wüstensand verborgen lag.
Babel, Kenah Cusanit, 2019, Hanser Verlag, 267 Seiten, 23,00 Euro.