
In seinem Comic Valentin erzählt Jens Genehr vom Bau des gleichnamigen U-Boot-Bunkers in Bremen Farge, bei dem zwischen 1943 und 1945 mehr als 1000 Zwangsarbeiter starben. Erzählt wird einerseits aus der Perspektive des KZ-Häftlings Raymond Portefaix und andererseits aus Sicht des Nazi-Fotografen Johann Seubert. Der Künstler und Autor, der sich seit langem für den Bunker Valentin engagiert, hat sich sehr viel Zeit genommen, um mit uns über sein erstes Buch, die darin vorkommenden Protagonisten sowie über mögliche Zukunftspläne zu sprechen. Wer sich immer noch fragt, ob ein Comic die richtige Wahl ist, um solch ein Thema zu verarbeiten, der wird im folgenden Interview eine Antwort finden.
von Qianru Wang und Ramona Wendt
Du hast im Rahmen der Globale 2019, dem Festival für grenzüberschreitende Literatur, gelesen. Wie fühlt es sich für dich als junger Autor an, mit deinem ersten Buch dabei zu sein und generell zu Lesungen eingeladen zu werden?
Das ist für mich total aufregend. Aber dadurch, dass ich diese Lesereise mitgemacht habe und jeden Tag in einer anderen Stadt war, hab ich jetzt natürlich auch eine gewisse Sicherheit bekommen, wenn es ums Vortragen geht. Die ganz große Aufregung, die ich bei der Premiere hatte, ist mittlerweile nicht mehr da.
Du engagierst dich für den Bunker Valentin und arbeitest dort. Kannst du uns ein bisschen davon erzählen, was du da genau machst?
Ich mache vor allem Führungen und Seminare. Wenn es eine Führung ist, dann gebe ich den Leuten einen 90-Minuten-Überblick über die Geschichte und die Zusammenhänge des Ortes und versuche dabei auch Diskussionen anzustoßen. Bei den Seminaren ist es ähnlich, da hat man glücklicherweise aber drei Stunden Zeit, um sich mit dem Ort auseinanderzusetzen und man kann auch noch mal ein bisschen mehr in die Tiefe gehen. Die Seminare werden meistens von Schulklassen besucht oder auch von der Bundeswehr, das ist unterschiedlich.
Wie bist du denn zu der Arbeit im Bunker gekommen?
Durch eine Freundin, mit der ich zusammen Sport gemacht habe. Sie hat den Denkort mit aufgebaut, war von Anfang an dabei und hat das Konzept mitentwickelt. Irgendwann hat sie mich dann gefragt, ob ich mir denn vorstellen könnte, dort Führungen zu machen. Das war 2013, also sogar noch bevor der Denkort überhaupt eröffnet wurde. Zu dem Zeitpunkt gab es da einfach nur Matsch und ein paar Wege und wir sind da irgendwie so durchgekrabbelt mit den Schülergruppen. Natürlich gab es auch eine kleine Aufwandsentschädigung, was nicht schlecht ist, wenn man Student ist. Aber dass ich da so dabei geblieben bin und auch so viel Energie und Zeit reingesteckt habe, das hing natürlich auch damit zusammen, dass ich es wichtig finde, mich antifaschistisch zu engagieren.
Wann ist denn die Idee entstanden, über das, was damals beim Bunker Valentin geschehen ist, ein Buch zu machen?
Ich habe eigentlich schon immer gerne gezeichnet und da ich ein Skizzenbuch habe, habe ich da erst einmal nur für mich drin rumgezeichnet. Diese Zeichnungen habe ich dann irgendwann mal Kollegen gezeigt und die haben dann gefragt, ob ich nicht einen ganzen Comic draus machen will. Ich dachte mir, dass ich eigentlich gar kein Comiczeichner bin und dass das auch wirklich viel Arbeit wäre. Aber dann war ich mit dem ersten Studium fertig und hatte keinen Bock auf den Master. Da dachte ich mir, ich bewerbe mich einfach mal an der Kunsthochschule Bremen und wenn die mich nehmen, dann habe ich fünf Jahre Zeit, diesen Comic zu zeichnen – und es hat geklappt. Ich hätte am Anfang nicht zu träumen gewagt, dass daraus ein ganzes Buch entsteht und dass es so eine Auflage bekommt, beziehungsweise, dass ich einen Verlag dafür finde. Das hatte auch viel mit Glück zu tun.
Wieso hast du dich dafür entscheiden, deine Gedanken und Ideen zum Thema in einer Graphic Novel zu verarbeiten und nicht in einem Roman?
Ich kann ganz gut zeichnen, das habe ich auch schon immer gemacht. Ich kann zwar auch Texte schreiben, aber ich habe vorher noch nie versucht, einen Roman zu schreiben. Das lag mir auch gar nicht nah. Das mit dem Comic passt für mich einfach gut, weil es eine sehr konkrete Darstellung ist, mit der man aber auch gleichzeitig literarisch etwas vermitteln kann. Vielleicht kann man es auch als eine Art Grenzerfahrung zwischen beiden Domänen bezeichnen. Ich glaube, wenn man sich mit Künsten auseinandersetzt, findet man dann irgendwann seinen eigenen Weg und seine Ausdrucksform. Bei manchen ändert sich das immer wieder, die machen alles mögliche und manche bleiben halt bei dem, was sie immer tun.
Wenn man an Comics denkt, kommen den meisten sicher als erstes bunte und lustige Geschichten in den Sinn. Was würdest du jemandem antworten, der dich dafür kritisiert, dass du solch ein ernstes Thema wie die Zwangsarbeit am Bunker Valentin in einem Comic verarbeitet hast?
Das kommt tatsächlich sehr häufig vor. Im Nachwort meines Buches wird gezeigt, dass die Behandlung von ernsten Themen in Comics eigentlich gar kein so neues Phänomen ist. Wenn man sich viel mit Comics beschäftigt, bewegt man sich natürlich auch in einer Blase, von der andere nichts mitbekommen. Ich war echt überrascht, dass es für viele Leute immer noch dieses Zurückschrecken vor dem Comic gibt oder dass viele denken, dass ein Comic nur Mickey Mouse und daher komisch ist. Deswegen wird wahrscheinlich auch dieser Begriff Graphic Novel gern benutzt. Viele Leute sagen mir auch, dass sie den französischen Begriff Bande dessinée viel besser finden, weil das einen ernsteren Klang hat und da nicht die Assoziation mit etwas Komischem aufkommt. Für mich ist ein Comic auch einfach die Erzählform. Es geht nicht darum, ob das nun lustig ist oder nicht, sondern es geht darum, dass es sequenzielle Kunst ist, bei der man von Bild zu Bild springt und das mit literarischem Text verknüpft. Und zu sagen, dass das eine Graphic Novel ist, das ist für mich eigentlich eine kleine Propagandamasche. Die kann ganz gut funktionieren, aber es ist eben, was es ist.
Warum hast du ausschließlich in schwarz/grau gezeichnet, ohne bunte Farben zu verwenden?
Das mit den bunten Farben ist mitunter eine schwierige Sache. Zwischendurch habe ich schon versucht, auch etwas mit Farbe zu machen. Aber wenn man nicht gut darin ist oder wenn man nicht die nötige Expertise hat, dann kann es sein, dass die erste Seite eine ganz andere Farbe hat als die letzte und wenn das passiert, dann hat man ein Problem. Es war auch tatsächlich eine bewusste Entscheidung, das relativ einfach zu halten. Ich habe alles erst einmal auf A4 in Bleistift vorgezeichnet und dann stellte sich die Frage: Okay, wie arbeite ich, mache ich die Originalzeichnungen in Tusche, mache ich es mit Buntstift, mache ich Farbe oder mache ich es halt ohne Farbe. Und dann musste man letztendlich irgendwas finden, was am einfachsten war und am schnellsten ging und etwas, womit ich am meisten Erfahrung hatte. Das war bei mir Buntstift und Aquarell, das konnte ich am besten.
Wo und wie hast du recherchiert, um an Hintergrundinformationen für deinen Comic zu kommen?
Viel Material, was ich verwendet habe, gibt‘s natürlich im Archiv vom Denkort, also zum Beispiel das Buch von Raymond Portefaix und die Fotos. Aber manchmal brauchte ich auch Informationen, die tiefer gingen. Da bin ich dann ins Staatsarchiv gegangen, habe mir die Entnazifizierungsakten geben lassen, habe mit diversen Leuten gesprochen oder in der Universitätsbibliothek recherchiert. Ich habe einfach überall verschiedene Quellen eingesaugt.
Bist du neben denen von Raymond noch auf andere Aufzeichnungen und Zeugenberichte gestoßen? Warum hast du dich dafür entschieden, ihn zu deinem Protagonisten zu machen?
Zuerst hatte ich nur die Idee, den Zeitzeugenbericht, den Raymond Portefaix geschrieben hat, einfach in einen Comic zu übersetzen. Ich hatte noch gar nicht den Einfall, den Fotografen der Nazis Johann Seubert mit einzubeziehen. Aber dann habe ich die ersten Zeichnungen gemacht und habe ganz schnell gemerkt, dass ich da an Grenzen stoße, weil ich viele Sachen aus der begrenzten Perspektive, die Raymond Portefaix hatte, nicht erklären konnten. Es war mir sehr wichtig zu zeigen, dass es nicht nur das KZ gab, sondern dass es zum Beispiel auch das Arbeits- und Erziehungslager gab. Deshalb habe ich diesen anderen Weg gewählt und durch Seubert noch eine andere Perspektive auf die Baustelle gerichtet.
Johann Seubert hat stellenweise auch nette, sehr menschliche Züge. Zum Beispiel hat er ein schlechtes Gewissen wegen der ganzen Toten und der Leser bekommt auch einen Einblick in sein Privatleben. War das dein Anliegen, dass der Leser fast schon ein wenig Sympathie für ihn empfinden soll?
Es ist nicht bewusst gesteuert gewesen. Den Charakter, den er als „flirty Boy“ entwickelt, den habe ich aus den Fotos gezogen. Es gibt einige Fotos, welche auf der Bootsfahrt entstanden sind, die zeigen, dass er dort wahrscheinlich auch mit einigen Frauen geflirtet hat oder es gibt eine kurze Sequenz, in der er nur die Beine der Sekretärinnen filmt, die gerade Pause machen. Da merkt man einfach, dass das ein Typ ist, der wie wir alle auch menschliche Bedürfnisse hat. Er ist natürlich auch nicht das absolute Böse. So stelle ich mir zumindest vor, wie Seubert wohl gewesen ist. Allerdings muss man auch dazu sagen, dass er eine fiktive Person ist. Der richtige Seubert hatte zum Beispiel zwei Kinder, die habe ich in dem Comic ausgespart.
Erinnerst du dich an Personen oder Figuren aus anderen Büchern oder Filmen, die dich vielleicht zu Johann Seubert inspiriert haben?
Naja, es gibt da schon so ein Mosaik, was ich mir von Menschen bilde, die im Nationalsozialismus aktiv waren. Und es ist vielleicht auch so eine Gegenkonstruktion von dem, wie Täter sonst in fiktionalisierter Geschichte dargestellt werden, wie zum Beispiel in Schindlers Liste oder Unsere Mütter, unsere Väter. Da sind die Täter meistens sadistische Barbaren in schwarzer Uniform, die grundlos Kinder abknallen. Das ist unsere Vorstellung von den bösen Nazis und mit den Leuten kann man sich natürlich nicht identifizieren, das will man auch gar nicht. Diese Erklärung greift für mich auch ein bisschen zu kurz, denn ich glaube, dass Faschismus als Ideologie attraktiv ist, damals wie heute. Diese Attraktion, diese Anziehungskraft aufzuheben ist Teil von antifaschistischer Arbeit. Man sollte sich nicht die Illusion machen, dass man dagegen immun sein kann.
Besteht dein Buch mehr aus Fiktion oder mehr aus Wirklichkeit?
Eigentlich ist es nur Fiktion, aber sie bewegt sich innerhalb einer Wahrheit auf historischen Tatsachen, die passiert sind. An die Wahrheit kommt man einfach nie komplett dran, das ist etwas, was man objektiv nicht feststellen kann. Es sei denn, wir bewegen uns im Bereich der Naturwissenschaften, wo man Sachen messen kann, würde ich sagen. Aber Geschichte kann man eben nicht messen, deshalb ist mein Comic eher Fiktion.
Noch ein kurzer Blick Richtung Zukunft: Könntest du dir vorstellen, dass dein Comic verfilmt oder als Theaterstück auf die Bühne gebracht wird? Ist da vielleicht schon etwas geplant?
Da ist bisher noch nichts geplant. Ich würde es nicht verhindern, aber ich würde es auch nicht selbst in einen Film oder ein Theaterstück übersetzen, weil das, wie gesagt, nicht meine Kunstform ist. Wenn jemand auf mich zukäme und fragen würde, ob er mein Material für etwas verwenden kann, dann bin ich der Letzte, der da Nein sagt. Ich finde, Kunst lebt davon, dass man auch von anderen Leuten kopieren kann, sonst funktioniert das alles nicht. Auf seinen Rechten zu beharren, finde ich allein bei dieser Geschichte schon totaler Quatsch, weil das nicht meine Geschichte ist. Ich hab das nicht gemacht, um daran Geld zu verdienen, sondern es geht darum, das, was da passiert ist, weiter zu transportieren und lebendig zu halten. Wenn ich da Nein sagen würde, dann würde ich mich irgendwie selbst verraten.
Planst du denn noch weitere Bücher?
Ja, es gibt Ideen und es gibt Wünsche. Am liebsten würde ich natürlich die ganze Zeit nur zeichnen, aber davon kann man leider nicht leben. Das nächste Thema wird vielleicht „Bewusstsein“ sein. Da fange ich gerade an, erste Sachen zusammenzusammeln und erste Zeichnungen zu machen. Aber nebenbei bin ich auch noch am Arbeiten. Da muss ich erst einmal gucken, wie ich beides gut in Einklang miteinander bringen kann.
Wir sind gespannt auf das, was da noch kommt. Vielen Dank für das Interview.