
Bei dem Seminar „Kreative Schreibwerkstatt“ unter der Leitung von Madita Krügler an der Universität Bremen im Sommersemester 2020 ging es um die Arbeit an einem literarischen Projekt mit allen dazugehörigen Schritten von der Planung bis zum möglichen Exposé. Begleitend dazu gab es unterschiedliche Schreibaufgaben zur Weiterentwicklung des Projekts, wie in diesem Fall eine Schauplatzbeschreibung. Diese ist als Teil eines Coming of Age Romans um die Hauptfigur Ava und ihre zwei besten Freundinnen Clara und Freddie gedacht.
Es war immer unpraktisch, wenn man in der Pause merkte, dass man aufs Klo musste, weil man nicht während des Unterrichts gegangen war – oder gedurft hatte, je nach autoritärem Geltungsbedürfnis der Lehrperson. Denn in der Pause gehen bedeutete, den Rest der Pause dort verbringen zu müssen. „Anfängerfehler“, entgegnete Freddie auf Avas Ankündigung, noch kurz zur Toilette zu müssen. Sie hatte recht.
Von weitem sah Ava schon, dass die Schlange von dem Raum mit den drei Klokabinen, durch den Vorraum mit den Waschbecken bis zur Tür reichte. Mit einem leichten Stöhnen stellte Ava sich hinter einen langen blonden Pferdeschwanz, der zu einem Mädchen aus der Stufe über ihr gehörte und schätzte, dass noch ungefähr fünf weitere Personen vor ihr in der Schlange stehen mussten, soweit sie das einsehen konnte. Sie ließ den Blick über die Szene gleiten, die irgendwie jedes Mal gleich war, als würden alle feste Rollen einnehmen, sobald sie die magische Schwelle zum Mädchenklo im Erdgeschoss überschritten. Links entlang der zwei Waschbecken quetschten sich die Mädchen, die gerade vom Klo kamen, um sich die Hände zu waschen und die, die vor der nächsten Unterrichtsstunde, oder einfach, weil ein Spiegel vorhanden war, nochmal etwas an ihrem Äußeren optimieren mussten. Bei denen, die sich die Hände waschen wollten, stellte immer mindestens eine fest, dass der Seifenspender zu ihrer Rechten leer war und mit Pech auch noch der Papierspender neben dem Eingang. In manchen Klos gab es auch diese Lufthändetrockner, aber die dienten eher der Veranschaulichung von Alltagsdesignvorstellungen irgendeines vergangenen Jahrzehnts inklusive einer Chronologie beliebter Bands der vergangenen Jahre in Form von Aufklebern, als dass sie irgendetwas trockneten.
Zwischen denen, die also aus Anstandsgefühl und Optimismus heraus versuchten, sich die Hände zu waschen und der Schlange, standen Mädchen bewaffnet mit Bürsten, Quasten und Wimperntuschebürstchen. Vielleicht waren sie die wahren Optimistinnen, da sie offenbar meinten, trotz des beträchtlichen Abstands zum Spiegel und der Enge ihrem ohnehin sehr aufwendig wirkenden Äußeren noch etwas hinzufügen zu können. Vielleicht war Ava aber auch einfach zu ungeschickt im Umgang mit Schminke, um in dieser Position irgendetwas an ihrem Aussehen verbessern zu können. Clara konnte das. Man konnte es also als Begabung sehen.
Hinter den Makeup-Artists und rechts von Ava verschwand die Schlange in dem Raum mit den drei Kabinen. Ava mochte die Linke am liebsten und die Mittlere am wenigsten. Dort fühlte sie sich umzingelt. Außerdem klebte in der Linken ein Aufkleber ihrer Lieblingssängerin und die Unterhaltungen aus Edding waren in dieser Kabine definitiv am interessantesten. Jahre nach ihrer Schulzeit würde sie sich wahrscheinlich besser an die Klotürkorrespondenzen erinnern, als an irgendein Gedicht, was sie mal auswendig lernen musste. Die Toiletten waren nun einmal auch der Ort, zu dem nur die SchülerInnen zutritt hatten. Es war zwar der ekligste Ort der Schule, aber immerhin. Das musste sie später Freddie erzählen. Ihr würde diese Romantisierung der Klos gefallen.