„Wasser, Schleier und was sich nicht festlegen läßt“: Undine undone

Foto: privat

von Celina Imm

Seit Anfang Juli kann man Christian Petzolds Undine auf Leinwand sehen. Zeit sich die titelgebende Sagenfigur noch einmal genauer anzuschauen, die gemeinsam mit ihren entfernten Verwandten, wie der Seejungfrau und Lorelay, ein beliebtes Motiv der deutschen Romantik war. Aber auch über das 19. Jahrhundert hinaus taucht die Gestalt der Undine immer wieder aus dem Erzählfluss auf und singt.

Zwischen den Wellen kann man sie manchmal singen hören. Aber normalerweise leben sie unter Wasser in „klingenden Kristallgewölben“ und mit den konservierten Überresten, was die alte Welt an Schönem besaß. Undine nennen sie die Fischer, die das Glück hatten, die Stimmen und die Schönheit der weiblichen Elementargeister zu vernehmen. Undine ist also nicht eine bestimmte Person und schon gar nicht eine einzelne Erzählung, auch wenn das Grundmotiv genre- und medienübergreifend ähnlich bleibt.

Der Schriftsteller Friedrich de la Motte Fouqué veröffentlicht 1811 eine Erzählung mit dem Titel Undine. Im Vorwort lässt die fiktive Schriftstellerinstanz verlauten, dass er das Wasserwesen nicht im ewigen Wellenspiel erblickt, sondern ihre Klage aus den „alten Kunden“ zu ihm sprechen hört. Mit vertrauensvoll herabgeneigten Ohr lauscht der Romantik-Schriftsteller Undine und setzt ihre Klage in 19 kurzen Kapiteln neu zusammen: Undine wird tief im Wald von Fischern aufgezogen an einem Ort zwischen Wasser und Land: „es schien ebensowohl, die Erdzunge habe sich aus Liebe zu der bläulich klaren, wunderhellen Flut in diese hineingedrängt, als auch, das Wasser habe mit verliebten Armen nach der schönen Aue gegriffen“.

Undine ist in die Welt der Menschen gekommen, damit sie durch die Vereinigung mit einem Mann, der ihr ewige Liebe und Treue verspricht, in den Besitz einer menschlichen Seele kommt, um am Ende ihrer Tage nicht einfach wie das Wasser zu zerstäuben. Bricht der Mann jedoch die Treue, ist Undine an das Gesetz der Wassergeister gebunden ihn zu töten. Und natürlich kommt es, wie es kommen muss: Die anfängliche Liebe des Ritters zu Undine schwingt um in Angst vor Undines Macht über das Wasser. Aus der geliebten Undine wird ihm ein Ungeheuer. Es treibt ihn in die Arme einer anderen Frau und Undine muss sich dem Gesetz beugen: Sie erscheint dem untreuen Bräutigam und weint ihn tot. Als Bachlauf liebkost sie noch sein Grab. Erde und Wasser sind wieder vereint, aber auch Ende und Anfang schließen sich zu einem Kreis – es war nicht das letzte Mal, dass Undine ihren Geliebten verliert.

Bei Ingeborg Bachmann taucht Undine ein anderes Mal aus den Erzählschichten auf. Ihre Undine hat genug von der ständigen Wiederkehr: Undine geht (so der Titel der 1966 veröffentlichten Erzählung), aber davor rechnet sie ab, ergreift das Wort, erhebt es gegen die Ungeheuer mit dem Namen Hans. Damit dreht sie die Erzählung um: Sie setzt sich zur Norm, zur Erzählerin und zum Individuum und die Männer (Menschen) werden zu dem Ungeheuer mit immer gleichem Namen und immer gleichen Geschichten von Ehe, Ehebruch und Karriere. Ein jeder Hans ist Undines Urgewalt, ihrem Elementaren, früher oder später nicht mehr gewachsen: „Wenn euch nichts mehr half, dann half die Schmähung. Dann wusstet ihr plötzlich, was euch an mir verdächtig war, Wasser und Schleier und was sich nicht festlegen läßt“. Undine lässt sich nicht festlegen, auf kein Bild, auf keine Erzählung und schon gar nicht auf einen bürgerlichen Lebensentwurf. Versucht man sie zu greifen, gleitet sie wieder ab ins Wasser, taucht wieder auf, wird ein anderes Mal erzählt.

Dieses Mal im Film: Christian Petzolds Undine bildet den Auftakt zu seiner geplanten Romantik-Trilogie, die sich mit Elementargeistern beschäftigen soll. Sein Film versetzt den Mythos in das heutige Berlin und dass es um Wassergeister gehen soll, vermutet man nur, wenn man sich vorher zum Titel belesen hat. Der Anfang des Films ist alles andere als geisterhaft: die Sonne scheint, in einem schicken Berliner Café wird Cappuccino getrunken und Johannes (Jacob Matschenz) versucht sich sehr unbeholfen von Undine (Paula Beer) zu trennen. Es ist eher zum Lachen als zum Weinen und schon gar nicht zum Gruseln. Johannes kann seiner Wege ziehen, Undine scheint sich zunächst ihrem unheilvolle Geschick nicht fügen zu müssen, erscheint doch schicksalhaft ein neuer Mann, der Industrietaucher Christoph (Franz Rogowski), der das Element des Wassers mit ihr teilt.

Und doch geistert es permanent. Zeit und Raum sind nicht so zuverlässige Koordinaten, wie uns die vertrauten Filmbilder von der Hauptstadt zunächst vormachen wollen. In Berliner Wohnungen hört man auf einmal bedrohliches Wasserrauschen, ein Aquarium geht zu Bruch und überflutet Innenräume, körperlose Stimmen kommen von nirgendwo. Schnell wird klar, so sehr man sich auch bemüht, die Vergangenheit hört nicht auf zu sein, sie steht permanent im Raum und mitunter auch im Weg, wo man sich doch Fortschritt und Emanzipation von alten mythologischen Gesetzen erhofft. Bereits Undines Beruf weist darauf hin: Sie arbeitet als Historikerin bei der Senatsverwaltung für Stadtentwicklung und Wohnen und erklärt Tourist*innen anhand von Stadtmodellen die Berliner Geschichte. Wir hören von der Herkunft des Stadtnamens, von Phantomschmerzen der Stadt und der verlorenen Mitte. Undines Führungen gleichen Theaterauftritten, bei denen die auswendig aufgesagte Stadtgeschichte immer auch als Metapher herhalten muss. Das thematisierte Humboldt Forum, das derzeit in Berlin erbaut wird, als Kopie eines Herrschaftspalastes aus dem 15. Jahrhundert, der während des 2. Weltkrieges zum Großteil zerstört wurde, weist nicht nur auf Petzolds eigenes Unterfangen hin: eine Geschichte, die das erste Mal im 14. Jahrhundert dokumentiert wurde, in der heutigen Zeit zu erzählen.

Das Ersetzen von Verlorenem und Vergangenem durchzieht leitmotivisch den ganzen Film: Eine Taucherfigur geht zu Bruch und wird wieder perfekt geklebt, das zerstörte Aquarium wird durch ein Neues ersetzt, tote Körper wiederbelebt. Alles wieder auf Anfang – heißt das, wie Undine für ihren historischen Vortrag aufwendig aufsagt, dass Fortschritt unmöglich ist? Trotz Staudämmen, Zugfahrten und Großstädten, diesen Aushängeschildern für Moderne und Entwicklung, kann die ewig wiederkehrende Undine eine Kategorie wie Geschichte nicht ernst nehmen. Die Abweichung von ihrem eigenen Mythos dauert Jahrhunderte und ist letzten Endes hauchzart: Ein Mann darf ziehen. Am Ende verschwindet Undine wieder unter der Wasseroberfläche. Der See liegt wieder still. Der Bruch ist erneut nicht mehr zu sehen – was bleibt sind Phantome.

Christian Petzold, Undine, D/FR 2020.

Ingeborg Bachmann, „Undine“ in: Das Dreißigste Jahr, Dtv, München 1988.

Friedrich de la Motte Fouqué, „Undine“ in: Ritter und Geister. Romantische Erzählungen, Fischer Berlin 1981.

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