Kein Wunderland, aber real

Foto: privat

von Robin Bertram

Während Sara als Übersetzerin in Dublin gelebt hat, blieb Lela in Bosnien zurück und arbeitete als Kellnerin in Mostar. Nach zwölf Jahren des Schweigens überredet die selbstbewusste Lela die unsichere Sara, sie von Mostar bis nach Wien zu fahren, weil dort ihr älterer Bruder und Saras heimliche Kindheitsliebe Armin sei.

Wie Alice verfolgt die Ich-Erzählerin Sara ihren Hasen, nur dass Bosnien für sie kein Wunderland, sondern einen Alptraum darstellt, dem sie zuvor durch ihr Studium in Irland entfliehen konnte. Doch Lelas Anruf zieht sie zurück in das dunkle Kapitel ihres Lebens, das ihr in seiner geballten Wirklichkeit in Bosnien entgegenschlägt und sie mit ihren Erinnerungen aus der Kindheit konfrontiert. Ihre Taktik des Verdrängens beginnt in Bosnien zu versagen: sie muss eine Sprache sprechen, von der sie nicht will, dass es ihre ist.

Die Straßen führen sie durch das ehemalige Jugoslawien, welches während ihrer Kindheit unter ethnischen Spannungen und Kriegen auseinanderriss. Da der Roman ursprünglich in der betroffenen Region erschienen ist, gibt die Autorin wenig Raum für historische Abhandlungen der komplexen Konfliktgeschichte, doch eine Vielzahl kleiner Momente verweisen auf die Auswirkungen und prägen auch die zwei Freundinnen. So etwa änderte Lejla Begić ihren Namen zu Lela Berić und Armin wurde Marko, um ihre bosniakisch-muslimische Herkunft zu kaschieren. Doch als eine Reihe von „serbischen“ Hunden vergiftet wurden, machten die Bewohner der Stadt, Saras Vater und Polizeichef eingeschlossen, Armin verantwortlich. Er verschwand spurlos. Die Unsicherheit bezüglich Armins Tod und die Hoffnung, dass er geflohen ist und lebt, tragen Sara und Lela in sich.

Wie bei jedem guten Roadtrip geht es weniger um die Straße, die zurückgelegten Kilometer oder die Ortsschilder, sondern um die Menschen, die sich auf engsten Raum aushalten müssen. Es geht um ihre Vergangenheit und wie sie jetzt dazu stehen. Die Erzählung alterniert mit jedem Kapitel zwischen Gegenwart und Kindheitserinnerung. Saras Erinnerungen sind schwammig und werden bereitwillig durch Erdachtes ergänzt. Wenn Lela sie mit den Unstimmigkeiten konfrontiert, tritt die menschliche, subjektive Perspektive der Erzählerin hervor. Die Polarität der beiden bietet eine unterhaltsame Dynamik, der es sowohl auf kurzer als auch auf langer Strecke nicht an Konfliktpotential mangelt.

Neben der Frage nach Armins Zustand erzeugt die Autorin Spannung durch Saras Zurückhalten von Informationen: was ist am Strand passiert? Weshalb ist ihre Freundschaft für über ein Jahrzehnt im Sand verlaufen? Und wird Sara ihren Hasen fangen oder endet sie in einem leeren, dunklen Hasenbau? Die Erzählstränge und Fragen laufen in der Klimax meisterhaft zu einem einzelnen Moment zusammen und lassen alles bisherige in einem neuen Licht erscheinen.

Fang den Hasen, Lana Bastašić, übersetzt von Rebekka Zeinzinger, 2021, S. Fischer, 336 Seiten, 22 €.

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