Ein fantastisches Wimmelbild

Foto: privat

von Charly Friedrich

Der Einband in Pergamentoptik, die goldenen Details und der Titel von Erik Fosnes Hansens neuem Roman Der rosa Hahn versprechen eine märchenhafte Welt. Und obwohl die Geschichte dem anfangs gerecht zu werden scheint, entsteht während der Lektüre der Eindruck, dass ein Wimmelbild als Cover passender gewesen wäre.

Das Buch beginnt mit der Geschichte zweier Goldmacher, die zwischen Cottbus und Berlin eine ungeplante Abbiegung nehmen und in der Stadt Jüterbog landen. Hier zerspringt die Erzählung in viele kleine Geschichten. Der Schritt durch das Stadttor eröffnet eine von Absurditäten überschäumende, manchmal grausame Welt, deren Flut an Bildern nur von der erzählerischen Dichte übertroffen wird. Alles in dieser fiktionalisierten Version Jüterbogs lebt, alles hat eine Meinung. Treppen gargeln und knörzen, Sauerteig schreit. Alltagsdetails werden in langen Schachtelsätzen voller Adjektive zum Spektakel. Nichts ist simpel: „(…) zeitgleich mit der Mutter, die eilends zu dem ärmlichen, hässlichen, schmalen und gesprungenen Haus zurückkehrte, flog die Abendzeitung langsam in Keilformation durch die Straße, alle wie vorgeschrieben in drei Metern Höhe mit schweren Flügelschlägen, angeführt von einem Schreiboten, der in regelmäßigen Abständen den traditionellen, uralten Warnschrei von sich gab: (…)!“

Die Erzählweise steht über den erzählten Geschichten, die manchmal unter dieser Last zu ersticken drohen. Der Roman scheint eher interessiert am Widerspruch als an einem einheitlichen Bild. Er wird da spannend, wo moderne oder morbide Elemente die durch Titel und Figuren herangezogenen Erwartungshaltungen gezielt brechen. Jüterbog ist voller Gegensätze. Wer nach den einleitenden Geschichten der Goldmacher Wunder und Alchemie erwartet, wird über die groteske Dia-Show des Pastors stolpern oder von der jungen Regentin Clotilde irritiert sein, die sich trotz ihres „ultraheiligen Blutes“ manchmal zu einem „Fuck“ hinreißen lässt. Jedes Kapitel endet auf das Wort „Aber“ und jedes neue beginnt mit einem Ortswechsel. So reihen sich verschiedenste Gucklöcher in eine gänzlich andere Realität aneinander.

Die Figuren versuchen, eine Orientierung in dieser konfusen Welt zu bieten. Es macht Freude, die angebotenen Perspektiven einzunehmen und ihren Alltag in der Absurdität kennenzulernen – sei es den der gelangweilten Regentin Clotilde, den einer Katze mit Vorliebe für Detektivgeschichten oder den der erwähnten Goldmacher. Jede Figur bringt ihr eigenes Referenznetzwerk, ihre eigene Sprechweise mit. Dennoch braucht das Buch trotz seiner ausführlichen Beschreibungen lange, bis sich die Tiere und Menschen vom Klischee lösen und sich zur Neugierde auf die Welt auch eine Neugierde auf die Geschichte gesellt, die in ihr erzählt wird.

Die Seiten bis dahin sind dennoch ein Vergnügen. Dieses Wimmelbild lässt sich am besten genießen, wenn man sich zurücklehnt und es betrachtet, statt nach etwas zu suchen.

Zum rosa Hahn, Erik Fosnes Hansen, übersetzt aus dem Norwegischen von Ina Kronenberger, Kiepenheuer & Witsch, 496 Seiten, 24 Euro.

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