Neukölln, Sonnenallee, 1988.

Foto: privat

Von Carla Bühl

Neukölln, Sonnenallee, 1988: Nachdem seine Mutter in einem Foltergefängnis zur Zeit der iranischen Revolution ermordet wird, flieht Saam mit seinem jüngeren Bruder Nima und seinem Vater Jamshid nach Berlin. Hier entwickeln sich die Wege von Saam und seinem Bruder unterschiedlich. Während Nima aufs Gymnasium geht und sich recht gut schlägt, findet Saams Leben bald zwischen Waffen, Gewalt und Geldwäsche statt. Er lebt im Milieu der Straßenclans und beginnt durch den Verkauf gefälschter Kleidung und später durch bewaffnete Raubüberfälle selbst ein Teil davon zu sein, was ihm schließlich sechs Jahre Haft einbringt. Behzad Karim Khanis Debüt Hund Wolf Schakal legt den Blick auf innere und äußere Kämpfe frei.

Die Kapitel, selten länger als zwei oder drei Seiten, beinhalten meist Szenen voll Dialog und  treiben so die Handlung schnell und intensiv voran, worüber wiederum die Figuren und ihre Beziehungen untereinander dargestellt werden. Durch seine Entwicklung entfernt sich Saam immer mehr aus seinem Familiengefüge, welches ohnehin durch Fluchterfahrung und Trauma durch den Tod der Mutter erschüttert worden ist. Der Roman kann hier zwischen Vergangenheit und Gegenwart springen, geht also über den Moment hinaus und gewährt den Leser:innen Einblicke in das Innenleben der Figur Saam. So bekommen wir ein Gefühl für ihn, obwohl auf der direkten, narrativen Ebene hauptsächlich das rationale Überleben in einem harten Milieu erzählt wird. Kurze Kapitel, kurze Sätze, derbe Sprache – all das spiegelt diese Härte wider. Saam fristet emotional ein Einzelkämpferdasein, weil sein Leben keine Sanftheit und Sensibilität zulassen darf: Er muss aufgepumpt sein, stark, gewaltvoll und angsteinflößend, furchtlos, er muss ein Tier sein. Er muss einen Ruf haben, um zu überleben und respektiert zu werden. Diesen Ruf erarbeitet er sich während seiner Pubertät durch Zulegen an Gewaltbereitschaft und Gewicht: „Liegestütze, Push Ups, Proteinshakes.“
Dass so ökonomisch und effizient erzählt wird, führt zu einem rhythmischen, zügigen Leseerlebnis, ohne dabei langweilig zu werden. Die Distanz gegenüber der fast animalischen Figur Saam wird durch regelmäßige Kapitel, welche seine Erinnerungen, Träume und Ängste – besonders in der Zeit von Gefängnis und Rehabilitätion – indirekt freilegen, gebrochen. Beispielsweise, wenn er einer sich in seiner Zelle verirrten Fliege einen Flügel ausreißt, damit sie bleibt. Über diese berührende Allegorie wird gleichzeitig Saams gesamte Lebensgeschichte als gebrochene Figur erzählt: „Kaputte Tiere“. 

Die Entscheidung Khanis, bewusst eine harte, ungeschönte Migrationsgeschichte zu erzählen und gleichzeitig zu durchbrechen, wie sie in einer klischeebehafteten Vorstellung aussieht – kaum Bildung, Gewalt, Drogen, „wir ficken alle!“ – macht das Buch besonders und lesenswert.

Hund Wolf Schakal, Behzad Karim Khani, 2022, Hanser Berlin, 288 Seiten, 24,00 Euro. 

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