
von Manuel Riveros
„Exotik passe nun mal nicht zu normal, normal nicht zu Exotik, so einfach ist das“. Diese lapidare Reflexion, die im Vorwort hervorsticht und sich durch Raus aus den Schubladen! Meine Gespräche mit Schwarzen Deutschen zieht, konfrontiert den Lesenden schon im Vorwort mit unerwarteter Gewalt. Denn gebräuchliche Diskurse, die behaupten, dass Deutschland kein Einwanderungsland sei, sind stets schwerer zu halten, zumal wenn im Jahre 2021 gut ein Viertel der Menschen hierzulande einen Migrationshintergrund hätten, laut Statistik der Bundeszentrale für politische Bildung. Der Aufruf für eine inklusivere Gesellschaft mit AkteurInnen unterschiedlicher Herkunft fasst Fuß – der urdeutsche Begriff der Heimat dehnt sich aus historischen sowie soziokulturellen Gründen aus. Tagtäglich werden die erlebten, demütigenden Hindernisse, die bezweifelte Zugehörigkeit, das für Nichtschwarze unverständlich harte Sich-Einleben erzählt, persönlich aber taktvoll. Auf Augenhöhe.
Einen großen Erfolg erzielt also die zweimalige Bestsellerautorin Florence Brokowski-Shekete. Das, was in ihrem ersten Buch Mist, die versteht mich ja! Aus dem Leben einer Schwarzen Deutschen eine Autobiografie mit ihren ersten Kinderjahren in Hamburg und Buxtehude war, wird nun in einem anderen Format fortgesetzt, nämlich dem Interview. Und so beschloss sie, ähnliche Lebensgeschichten herauszusuchen und letztlich zwölf Interviews mit Afrodeutschen zu führen. Hier geboren oder nicht. Familien mit Weißen oder nicht. Unterschiedlichen Alters, unterschiedlichen Berufes – ob Speyrer Metzgermeister, Luandaer Betriebswirtschaftlerin oder sogar der Vielen bekannte Schwatte Ostfrees Jung höchstpersönlich, ihre Lebensgeschichten haben viel Gemeinsames, auch jenseits der Hautfarbe. Dieses Buch wirkt vielmehr wie ergänzende Erweiterung als eigenständiges Werk: Nicht nur die Thematik, sondern das scharfe Auge für gesellschaftliche Denkanstöße, die unterhaltsame und zugleich aufklärende Natur, und die präzise und nüchterne Prosa des Debütwerks sind auch hier wiederzufinden. Weder Unmut, noch Groll. Voller Lebenswillen. Die Positivität, die die Protagonisten ausstrahlen, ist nichts anderes als bewundernswert. So befleißigen sich diese bisher meistens unbekannten Vorbilder eines Heute, ihre Nachkommen eines Morgens. Und den Schmerz der Mitmenschen könnten wir zwar niemals nachempfinden. Doch solchen Erzählungen, welche unsere Weltanschauung nur verbreiten, zuzuhören (sie zu lesen), daraus zu lernen: Das hier hat unsere Heimat (schöner urdeutscher Begriff) womöglich nötiger als je. Wie jemand einmal sagte: „Wir schaffen das“.
Die Autorin erklärt, dass die Interviewten dankbar seien, weil die geteilte Angelegenheit ihnen erlaubt hätte, manch eine Frage abzuklären. Hieran als kleine Kostprobe die ganz persönliche Definition eines jungen Kaufmannes: „Heimat ist dort, wo ich mich wohlfühle“, heutzutage von vielen geteilt, durch den zugewanderten Unterzeichnenden desgleichen. Nun, ich kann mich nur wundern, vor mich hin lächelnd, hoffend, ob ihr, liebe Lesende, auch manch eine Frage dank dieses Buches abklären könntet. Denn in Zeiten der Krise sind in unserer sich polarisierenden Gesellschaft unsere Solidarität und unsere Verständigung mit all unseren Mitmenschen gefragt. Infolge der Ahrtalflut letzten Jahres fuhr einer der Protagonisten dorthin, um den Betroffenen zur Hilfe zu kommen. Seine Erklärung dafür wie folgt: „Ich tue nichts Gutes, ich tue etwas Selbstverständliches“.
Raus aus den Schubladen! Meine Gespräche mit Schwarzen Deutschen, Florence Brokowski-Shekete, 2022, Orlanda, 184 Seiten, 22,00 Euro